Pyrenäen-Pipeline: Warum sich Macron bei der Gasversorgung quer stellt
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Wo immer in den vergangenen Wochen über die Energieversorgung diskutiert wird, die realen Fakten scheinen eher wenig Beachtung zu finden. Stattdessen Ideologie und Realitätsverweigerung allenthalben, ziemlich egal ob über Kernkraft, Stromtrassen, Fracking oder Gas gesprochen wird. Das ist kein rein deutsches Phänomen. Auch andere EU-Staaten pflegen da ihre Lebenslügen.Die Pyrenäen-Pipeline MidCat-STEP ist nur ein weiteres Beispiel. Und alle Beteiligten bekleckern sich dabei nicht eben mit Ruhm.
Worum geht es?
2013 projektierten Frankreich und Spanien eine neue Gaspipeline, die ursprünglich einmal das südfranzösische Midi mit dem spanischen Katalonien verbinden und auf einer Strecke von gut 200 Kilometern die Pyrenäen kreuzen sollte. Sollte ist der zentrale Begriff, denn während die Rohrleitung in Spanien schon recht weit gediehen ist, hat Frankreich das Projekt auf seiner Seite ganz offiziell 2019 beerdigt. Insofern ist schon die Vorstellung, die Pipeline könnte zügig die Sorgen um die Gasversorgung in Nordeuropa und vor allem in Deutschland beheben, völlig abwegig. Selbst wenn Frankreich und Präsident Macron ihre Position komplett umkrempeln würden, zur aktuellen Krise lieferte die Leitung keinen Beitrag. Ihre Fertigstellung bräuchte in jedem Fall noch Jahre. Ein Ersatz für ausbleibendes russisches Gas im kommenden Frühjahr oder gar diesen Winter auf diesem Weg ist ausgeschlossen.
Vor allem ist nicht im Geringsten damit zu rechnen, dass Macron seine Haltung ändern könnte. Zu teuer, ein ökologisches Desaster und wirtschaftlich unrentabel lauteten die Argumente, die Frankreich schon 2019 das Projekt auf Eis legen ließen. Daran hat sich nichts geändert. Ja, der heiße Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Wirtschaft- und Energiekrieg gegen die EU hat viele Fragen neu oder wieder auf die Tagesordnung gesetzt. So auch die von MidCat STEP. Und ja, Deutschland und Spanien können gemeinsam auf eine Neubewertung der Fakten drängen. Aber sie müssten schon mit der französischen Regierung als drittem Beteiligten reden. Und exakt das hat man deutlich zu wenig getan.
Zu wenig Kommunikation mit Frankreich
Man kann zu konträren Einschätzungen kommen, aber zumindest die Argumente der anderen Seite sollte man zur Kenntnis nehmen. Erstens laufen Umweltschützer*innen in Frankreich und Spanien seit langem Sturm gegen die Pipeline, weil sie über die Kammlinie laufen soll und dabei eine 30 Meter breite Narbe in die Landschaft fräst. Zweitens existieren bereits zwei kleinere Pipelines auf der Strecke Spanien-Frankreich. Dummerweise sind die nur zu 50 Prozent ausgelastet, was gewisse Zweifel am deutschen Argument, „MidCat fehle ernsthaft“, aufkommen lässt. Niemand wird gehindert, die bestehenden Pipelines zu nutzen.
Aber im Ernst: Wenn die drei Staatschefs miteinander reden, sollte sich mit ein bisschen gutem Willen und ein wenig Geld für die ökologischen Probleme eine Lösung finden. Vor allem Spanien müsste aber den Bedarf und die Rentabilität der neuen Gasleitung belegen. Und das nicht allein auf der spanischen Seite. Es hilft nur wenig, ständig die gemeinsame Antwort Europas auf Putins Aggression im Munde zu führen, aber wenn es ernst wird, nicht danach zu handeln. So weit zu den Fakten. Die Frage, was Macron antreibt, bleibt. Warum sperrt er sich derart stur?
Macron: „Keine Beweise für Notwendigkeit
Auf einer Pressekonferenz vor wenigen Wochen, genauer am 8. September 2022, hat Macron die französische Haltung noch einmal ausdrücklich unterstrichen: Il n'y a pas d'évidence de besoin, il n'y a pas d'évidence aujourd'hui, pas d'évidence demain, il y a des vraies difficultés, „Es gibt keine Beweise für die Notwendigkeit, heute keine Beweise, morgen keine Beweise, es gibt echte Schwierigkeiten“, so Macron wörtlich.
Die folgende Prognose sei gewagt: Könnte MidCat tatsächlich einen kurzfristigen, schnellen Beitrag zur Schaffung von größerer Versorgungssicherheit in Europa bringen, die Differenzen wären in einer Woche gelöst und vom Tisch. Weil es aber um die Langfristperspektive, um zukünftige Geschäfte geht, kommen auf allen Seiten ganz andere Überlegungen zum Tragen.
Frankreich glaubt weiter an Atomstrom
Spanien ist bereits jetzt ein wichtiger Player auf dem Gasmarkt. Das Land verfügt über 34 Prozent der Regasifizierungskapazität der Europäischen Union und 45 Prozent der Speicherkapazität. Die neue Verbindung der Netze verkoppelte dazu Europa mit den algerischen Feldern Medgaz- und den Maghreb-Europa-Gaspipelines. Außerdem hat Madrid LNG-Terminals gebaut – laut Expert*innen zu viele – und die Pipeline nach Frankreich wäre ein perfekter Absatzmarkt, um das Gas nach Nordeuropa zu exportieren. Spanien hat Eigeninteresse an der Pipeline.
Frankreich hat ebenfalls eigene LNG-Terminals in der Bretagne und in Duinkirchen und möchte gerne an diesem Kuchen partizipieren. Außerdem lebt Frankreich – wider alle Fakten – weiter in der Illusion, die Energie der Zukunft sei und bleibe (Atom-)Strom. Europa bräuchte also vor allem Stromtrassen und keine Gasleitungen. Weder die Tatsache, dass die Hälfte aller französischen Atomkraftwerke abgeschaltet sind, weil nicht funktionstüchtig und ein Sicherheitsrisiko, noch das Wissen, dass Atomstrom extrem teuer ist, bringt das Land und seine politische Klasse von dieser Legende ab. Der Grund dafür ist aber in erster Linie militärstrategisches Kalkül und nicht eine Frage von Wirtschafts- und Energiepolitik. Das Zusatzargument, die Gasleitungen könnten später auch grünen Wasserstoff transportieren, lehnt Frankreich schon deshalb ab, weil es kontraproduktiv wäre, diese ökologische wertvolle Energie durch ganz Europa zu transportieren, statt sie jeweils vor Ort zu produzieren.
Deutschland denkt auch in erster Linie an die eigene Versorgungssicherheit für Industrie und Menschen. Natürlich ist genau das die Aufgabe jeder Bundesregierung. Allein, der Rest der EU hat gewisse Erfahrung mit deutschen Alleingängen beim Gas – und das ist ausdrücklich kein Bashing für die angebliche falsche Energiepolitik der SPD. Schon aber die Erinnerung daran, dass es besonders Bundeskanzlerin Merkel war, die verabsäumt hat, mit den Partnern über deren Bedenken bei Nordstream hinreichend zu sprechen. Aktuell verstehen nur sehr wenige Partner in der EU, warum Deutschland vehement einen europäischen Gaspreisdeckel bekämpft und gleichzeitig national ein vergleichbares Instrument nutzt.
LNG-Tanker stehen im Stau
Wenn es ans Portemonnaie geht, ist allen das Hemd näher als Hose. Man könnte zum Beispiel zur Kenntnis nehmen, dass aktuell dutzende LNG-Tanker im Mittelmeer im kilometerlangen Stau stehen, weil einerseits das flüssige LNG-Gas derzeit mangels Kapazität weder entladen noch wieder gasifiziert werden kann. Dazu kommt, dass so mancher auf weiter exorbitant steigende Preise spekuliert und daher gar keine Notwendigkeit sieht, LNG anderorts abzupumpen.
Es wäre sicherlich auch nicht schädlich, die bayerische Landesregierung darauf hinzuweisen, dass Unmengen günstigen und sauberen Windstroms derzeit ungenützt in der Erde geleitet, bzw. gar nicht erst produziert wird, weil Herr Söder sich standhaft weigert, die Trassen für den Transport aus dem Norden in den Süden der Republik zu legen. Das zu ändern wäre ein ernsthafter und eigenständiger Beitrag Deutschlands zu Linderung der Energiekrise. Dann könnte man auch sicher unbefangener mit Macron über neue oder andere Gas-Pipelines reden.