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Putins Russland ist so stark, weil der Westen so schwach ist

Außenpolitisch ist Russland unter Putin wieder zu einer Macht aufgestiegen. Dies liege an der Schwäche des Westens, so DGAP-Experte Stefan Meister. Im Interview erklärt er, warum Putin die Zukunft des Landes verspiele, um an der Macht zu bleiben.
von Fabian Schweyher · 22. Februar 2018
Wladimir Putin
Wladimir Putin

Als Wladimir Putin im Jahr 2000 das Amt des russischen Präsidenten übernahm, führte er zunächst die Kooperation mit den westlichen Ländern fort. Dann kam der Überfall auf die Ukraine und Russlands Rückkehr auf die internationale Bühne. Wie geht es weiter? Anlässlich der kommenden Präsidentschaftswahl haben wir mit dem Russland-Experten Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik (DGAP) gesprochen.

Niemand bezweifelt, dass Wladimir Putin bei der Präsidentschaftswahl am 18. März wiedergewählt wird. Trotzdem wurde der einzig nennenswerte Konkurrent Alexej Nawalny von der Abstimmung ausgeschlossen. Hat der Kreml Angst vor dem Oppositionellen?

Sicherlich nicht. In freien und fairen Wahlen würde Nawalny nicht gewinnen. Er ist aber die einzige Person, die einen politischen Wahlkampf führen und Menschen zu Demonstrationen mobilisieren kann. Indem er die Korruption in der Regierung thematisiert und die Schwächen des Systems offenbart, setzt er das Regime unter Druck. Gerade junge Menschen fühlen sich angesprochen. Der Kreml hat Nawalny aus dem Verkehr gezogen, weil er ein Unsicherheitsfaktor ist. Bei der Wahl möchte die Kreml-Administration alles im Griff haben.

Im Oktober 2017 hat überraschend die TV-Moderatorin Xenia Sobtschak ihre Kandidatur verkündet. Kritiker werfen dem früheren Glamour-Girl vor, für das Regime die Rolle der liberalen Gegenkandidatin zu spielen. Was ist dran an dem Vorwurf?

Für mich ist Sobtschak eine Kandidatin des Kremls, die nur deswegen einen Wahlkampf führen kann, weil der Kreml das möchte. Es ist ja kein Zufall, dass sie ausgerechnet zu dem Zeitpunkt angetreten ist, als Nawalnys Kandidatur verboten wurde. Sobtschak soll die liberalen Wähler ansprechen und bekommt dafür Zugang zu den Medien. So etwas ist nur auf Entscheidung des Kremls möglich.

Wie sieht die Bevölkerung Putin? Wie fest sitzt er im Sattel?

Putin ist der mit Abstand beliebteste Politiker in Russland. Er steht für Stabilität, für Wohlstand, für eine erfolgreiche Außenpolitik. In freien, fairen Wahlen würde er vermutlich um die 50 Prozent der Stimmen bekommen. Das gehört auch zu seinem von der Propaganda aufgebauten Image, alternativlos zu sein. Im Moment kann ihm keiner gefährlich werden.

Russlands Wirtschaft befindet sich in einer Krise. Die Kriege in der Ukraine und Syrien sind teuer, Soldaten sterben. Dazu kommen die Sanktionen des Westens. Der Wohlstand der Bevölkerung sinkt. Warum ist Putin trotzdem so populär?

Putin hat das Land aus der Sicht der Bürger wieder starkgemacht. Russland ist ein relevanter internationaler Akteur. Die Annexion der Krim ist immer noch extrem populär. Auch die Kampagne in Syrien läuft in der öffentlichen Wahrnehmung erfolgreich. Und mit den steigenden Ölpreisen hat er der Bevölkerung bis 2008 nach den chaotischen 1990er-Jahren einen enormen Wohlstandsgewinn beschert. In dieser Zeit hat sie eine Verzehnfachung ihres Wohlstandes erlebt. Dies hält ihm eine Mehrheit der Russen trotz sinkender Einkommen immer noch zugute.

Russland ist auf der internationalen Bühne vor allem auch militärisch aktiv. Welche Rolle spielt die Außenpolitik für das System Putin?

Außenpolitik schafft Prestige und ist für Putin eine Ressource für die Innenpolitik. Das Land befindet sich seit 2008/2009 wegen der niedrigen Ölpreise in einer Wirtschaftskrise. Putin modernisiert Russland aber nicht wirtschaftlich, dafür investiert er in sein Militär. Das Feindbild des Westens hilft ihm, von inneren Schwächen abzulenken. Auch konnte der Anti-Amerikanismus als Teil der sowjetischen Propaganda in der Bevölkerung reaktiviert werden. Die EU soll kein Modell mehr für Russland sein. Sie wird in den russischen Medien als zerfallende, irrelevante Institution dargestellt. Aber Putin ist mit seiner Außenpolitik nur deshalb erfolgreich, weil der Westen so schwach ist und ihm Räume lässt, in denen er aktiv werden kann – beispielsweise in Syrien.

Inwiefern schwach?

Die USA ziehen sich außenpolitisch aus bestimmten Regionen zurück. Die transatlantische Beziehung ist in einer Krise, die EU auf absehbare Zeit mit sich selbst beschäftigt. Russland füllt die Lücken, die die Amerikaner im Mittleren Osten hinterlassen haben, zumindest oberflächlich. Auch die Europäer sind nicht bereit, für die Länder in ihrer Nachbarschaft mehr Verantwortung zu übernehmen. Auf diese Weise hat Putin es geschafft, das Image eines international erfolgreichen Präsidenten zu erzeugen, mit dem sich der Westen absprechen muss. Wir überlassen ihm die Deutungshoheit, obwohl Russland zu schwach ist, eine erfolgreiche Ordnungsmacht zu sein.

Die Fronten zwischen Russland und dem Westen sind verhärtet. Gleichzeitig scheint es zwei Sichtweisen auf Russland zu geben. Die eine Seite spricht von einem angriffslustigen Land, während die andere Seite den Kreml entschuldigt und Entgegenkommen fordert. Was ist richtig?

Es gibt zu viele Kalte Krieger, die sich mit dem Verhalten Russlands bestätigt fühlen. Das führt dazu, dass Russland als Gefahr überhöht wird und inzwischen an allem schuld sein soll. Allerdings gibt es definitiv ein Russland, das aggressiv handelt. Putin testet aus, welche Spielräume die NATO und die EU ihm lassen. Daraus leitet er ab, was er sich erlauben kann. Er wird keine Kompromisse eingehen, nur weil der Westen Sanktionen einseitig abbaut. Solche Angebote wertet er als Schwäche. Man muss Putin aus einer Position der Stärke gegenübertreten – und ihm auch auf die Finger hauen. Der Westen muss mit Russland im Gespräch bleiben, aber auch aufzuzeigen, dass das Überschreiten roter Linien Folgen hat.

Von außen betrachtet wirkt Russland stark. Wie ist es aber wirklich um das Land bestellt?

Das Land steht vor riesigen Herausforderungen. Die Gesellschaft überaltert. Die jungen, gebildeten Russen verlassen seit Jahren das Land. Im Gegenzug kommen Menschen, die kaum ausgebildet sind. Wirtschaftlich wird Russland weiter an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Seine Stellung in den Schlüsseltechnologien ist irrelevant, abgesehen vom Militär- und Nuklearbereich. Für Investoren ist Russland unattraktiv wegen des großen Staatssektors und der fehlenden Rechtsstaatlichkeit. Putin hat sich gegen eine Modernisierung Russlands entschieden. Investitionen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, in Bildung, Wissenschaft, Gesundheit und Infrastruktur bleiben aus. Letztendlich verspielt dieses Regime die Zukunft des Landes, um an der Macht zu bleiben.

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