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Putin-Kritiker Nawalny: Warum ihm eine mehrjährige Haftstrafe droht

Unmittelbar nach seiner Rückkehr wurde Putin-Kritiker Alexey Nawalny in Russland inhaftiert. Warum ihm nun eine mehrjährige Gefängnisstrafe droht, erklärt Peer Teschendorf von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
von Nikolaos Gavalakis · 19. Januar 2021
Der Putin-Kritiker Nawalny wurde unmittelbar nach seiner Rückkehr in Russland festgenommen.
Der Putin-Kritiker Nawalny wurde unmittelbar nach seiner Rückkehr in Russland festgenommen.

Alexey Nawalny wurde gestern nach der Wiedereinreise in Moskau direkt verhaftet und musste seine erste Nacht in der Heimat in der Arrestzelle verbringen. War dies zu erwarten?

Ja, das war es in der Tat. Einige hatten zwar die Vermutung, dass man ihn nicht vor laufenden Kameras abführen würde, weil das unnötige PR für Nawalny schafft, aber dass er verhaftet werden würde, war klar. Die Behörde für den Strafvollzug hatte bereits angekündigt, dass man ihn zur Fahndung ausgeschrieben hat, weil er ihrer Meinung nach gegen Bewährungsauflagen verstoßen hatte. Aus diesem Grund war der Prozess, der zu seiner Verhaftung führte, bereits in Gang gesetzt.

Das Gericht hat ihn im Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt. Was wird ihm vorgeworfen? Ist er nach Absitzen der Strafe wieder ein freier Mann?

Das nun erfolgte Urteil fiel lediglich im Rahmen der Haftprüfung. 30 Tage muss er in Untersuchungshaft bleiben. In dieser Zeit soll das Urteil in der eigentlichen Frage gefällt werden. Das Verfahren bezieht sich auf einen vermeintlichen Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen, genauer gegen die Auflage, sich zweimal im Monat zu melden und seinen Aufenthaltsort anzugeben. Da er nach Ansicht der Behörde nach Verlassen des Krankenhauses in Deutschland gesund war, hätte er wieder nach Russland zurückkehren müssen. Dass er noch in Rehabilitation war und seinen Aufenthaltsort stets gemeldet hatte und dorthin ja auch Gerichtsdokumente zugestellt bekommen hatte, wurde dabei nicht berücksichtigt.

Die Bewährungsstrafe hatte er in einem Fall erhalten, in dem ihm und seinem Bruder Betrug vorgeworfen wurde. Eine Firma der beiden Brüder soll Yves Rocher überteuerte Dienstleistungen angeboten haben. Yves Rocher hatte jedoch selbst angegeben, keinen Schaden erlitten zu haben. Das Urteil wurde schließlich auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als willkürlich gewertet, von Russland aber nicht aufgehoben. Die Anklage läuft nun darauf hinaus, die dreieinhalb Jahre Bewährung, die Ende letzten Jahres abgelaufen sind, in eine reale Haftstrafe umzuwandeln. Parallel wurde gerade ein Verfahren gegen ihn wegen Unterschlagung von Mitteln seiner Stiftung angestrengt. Auch hier droht eine mehrjährige Haft. Bisher wurden in Verfahren gegen Nawalny eher kurze Haftstrafen oder Bewährungsstrafen ausgesprochen. Es scheint so, dass sich dies jetzt ändern könnte.

Das Flugzeug, in dem Nawalny sich befand, wurde extra zu einem anderen Moskauer Flughafen umgeleitet, hunderte Sicherheitskräfte waren im Einsatz. Wie stark fürchtet die Regierung Nawalny?

Der Kreml gibt sich größte Mühe, Nawalny nicht aufzuwerten. Sein Name wird nicht ausgesprochen, der Präsident betonte bei seiner jährlichen Pressekonferenz, dass dieser Blogger nun wirklich keine Bedeutung habe. Noch nach seiner Verhaftung hat der Kremlsprecher Dmitri Peskow angegeben, nichts davon zu wissen. Und eigentlich muss der Kreml Nawalny auch nicht fürchten. Die Mehrheit der Bevölkerung steht der Vergiftung Nawalnys eher teilnahmslos gegenüber. 30 Prozent der Menschen in Russland glauben, dass es keine Vergiftung gab, und 19 Prozent denken, dass es ein Manöver westlicher Geheimdienste war.

Vor diesem Hintergrund erstaunt der Aufwand, der gestern Abend und heute betrieben wurde. Natürlich war das Polizeiaufgebot am Flughafen auch den massiven Aufrufen zum Treffen des Oppositionspolitikers geschuldet, die im Internet großen Zuspruch fanden. Von daher kann man die große Anzahl an Polizei und die Absperrungen durchaus formal nachvollziehen. Dass allerdings der Flieger zu einem anderen Flughafen umgeleitet wurde und parallel die Zufahrtswege zu beiden Flughäfen gesperrt wurden, lässt sich mit dem Schutz vor unkontrollierten Menschenmengen kaum noch erklären. Dass gestern sehr kurzfristig ein Gerichtsverfahren in einer Polizeistation einberufen wurde, was für die russische Justiz eine unerwartete Innovation darstellt, noch weniger.

Zum Bild gehört auch, dass in diesem Jahr die Wahlen zur Staatsduma anstehen und die letzten Wahlen auch durch Nawalnys System der „klugen Wahl“, also der Stimmabgabe für den stärksten Herausforderer des Kremlkandidaten, für die Kremlpartei erheblich schwieriger wurde. Des Weiteren sind natürlich die Eindrücke aus dem Nachbarland Belarus stets präsent, wo eine Wahl bis zum heutigen Tag für Proteste sorgt. Von daher ist es vielleicht nicht direkt Angst, sondern Vorsicht.

Wie sollte die EU nun reagieren?

Russland hat sich in diversen Verträgen und durch seine Mitgliedschaft beim Europäischen Rat für Menschenrechte und in der OSZE zu rechtsstaatlichen Prinzipien und den allgemeinen Menschenrechten bekannt. Auf ihre Einhaltung müssen alle Vertragsparteien drängen, da sie die Grundlagen für ein gemeinsames Verständnis in Europa sind. Wenn wir in Europa die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte erhalten wollen, gilt es, die Bedeutung der Verträge und der Institutionen, die aus diesen entstanden sind, zu schützen. Daher sollten wir in jedem Fall, wo gegen diese geteilten Prinzipien verstoßen wird, kritisch sein und die Einhaltung einfordern. Es geht dabei nicht in erster Linie um die Person Nawalny, sondern tatsächlich um das Prinzip.

Am 19. Januar erschienen im IPG-Journal

Autor*in
Nikolaos Gavalakis

leitet die Redaktion des IPG-Journals. Zuvor war er Leiter des Regionalbüros „Dialog Osteuropa“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew. Er hat in Mainz und Kalifornien Politikwissenschaft, Jura und Amerikanistik studiert.

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