Am Ende überschlugen sich die Ereignisse und sie überholten die Schlagzeilen einen Tag nach der vierstündigen Pressekonferenz Wladmir Putins in Moskau vor 1300 Journalisten. Der russische Präsident begnadigte Michail Chodorkowski und andere politische Gefangene. Überraschend schnell wurde der Oligarch und Erzfeind des Kremlchefs freigelassen. Nun ist er in Berlin.
Aus St. Petersburg war Michail Chodorkowski mit einem Privatflugzeug nach Deutschland geflogen und bei seiner Landung in Berlin-Schönefeld vom ehemaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher im Empfang genommen worden „Als eine gute Sache,“ bezeichnete Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier die Freilassung des seit zehn Jahren Inhaftierten. Nicht nur die kam unerwartet, auch die Begnadigung der beiden Pussy-Riot-Aktivistinnen Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina sowie weiterer politischer Gefangener wurde von Wladimir Putin angeordnet.
Auch die festgesetzten Greenpeace-Aktivisten können zum Jahresende wieder zu Hause sein.
Begründet hat Putin seinen Gnadenakt mit der kranken Mutter seines einstigen Rivalen. Sie war in den vergangenen Monaten in einem Berliner Krankenhaus wegen ihrer Krebserkrankung behandelt worden, danach nach Moskau zurück geflogen. Was ihr Sohn nicht gewusst hatte. Am Wochenende wird sie wieder in Berlin eintreffen. Unklarheit besteht derweil über den weiteren Aufenthaltsort der Familie Chodorkowskis und ob er überhaupt wieder nach Russland zurückkehren wird und kann. Das ist der vorläufige Stand der Dinge an diesem Jahresende und er lässt einen Blick zu auf die politische Lage in Russland, das so konsequent und umfänglich von Putin und seinem Machtapparat beherrscht wird.
Putins vermeintliche Großzügigkeit
Die präsidentielle Begnadigungsaktion hört sich zweifellos gut an. Sie sieht auch auf den ersten Blick gar nicht schlecht aus. Auf den zweiten, genaueren Blick allerdings zeigt sie auch: Der russische Präsident hat aus einer Notlage heraus gehandelt und so großzügig ist sie auch nicht. Der frühere russische Oligarch hätte im August des nächsten Jahres frei kommen müssen. Die Pussy-Riot-Frauen bereits im März. Das heißt, sie wären bei den Olympischen Winterspielen in Sotchi noch in Haft gewesen.
Sie wären vor aller Weltöffentlichkeit der prominente Beleg für ein russisches Rechtssystem gewesen, das weder über einen Unabhängigkeit vom Kreml verfügt, noch faire Prozesse zulässt. Die Prozesse gegen die drei jetzt Begnadigten haben das gezeigt. Und so ändert auch ihre Begnadigung nichts an der Feststellung: Die russische Justiz kennt keine zivile Rechtsprechung gegen Angeklagte, schon gar nicht, wenn die politisch verurteilt werden sollen.
An dieser Tatsache, das ist voraus zu sehen, wird sich auch nach den zweiwöchigen Spielen am Fuße des Kaukasus nichts ändern. Es fehlt nicht nur an Rechtsstaatlichkeit. Es fehlt auch an Demokratie, an Humanismus und Toleranz, wie das Anti-Schwulen-Gesetz zeigt. Jubel, Trubel, Heiterkeit soll es bei den Winterspielen am Schwarzen Meer nach dem Willen von Wladimir Putin geben und viele Siege für Russland. Vor der versammelten Weltöffentlichkeit. Die allerdings sich so nicht einstellen will: Der deutsche Bundespräsident wird nicht kommen, die Spitzen der französischen Regierung auch nicht. Ebenso wenig wie Vertreter der US-Regierung. So hatte sich das der 1999 zum ersten Mal ins Präsidentenamt gewählte Wladimir Putin nicht vorgestellt. Er will sich im Lichte der Spiele sonnen. Das ist der wesentliche Grund, warum er nun zur Begnadigung der einst von ihm heftig kritisierten Verurteilten und in der Haft schlecht behandelten Kritiker seiner Politik schritt.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).