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PS-Chef Cambadélis: „Wir müssen ein neues Bündnis der gesamtem Linken schaffen“

Am 23. April findet der erste Durchgang der Präsidentschaftswahl in Frankreich statt. Dem Kandidaten der „Parti socialist“, Benoît Hamon, werden nur Außenseiterchancen eingeräumt. Im Interview mit vorwärts.de fordert PS-Chef Jean-Christophe Cambadélis eine „Generalüberholung“ seiner Partei.
von Karin Nink · 30. März 2017
Jean-Christophe Cambadélis: „Die PS bleibt unabhängig von ihren Wahlergebnissen eine starke Partei.“
Jean-Christophe Cambadélis: „Die PS bleibt unabhängig von ihren Wahlergebnissen eine starke Partei.“

Die französische Gesellschaft ist sehr gespalten. Die Parti socialiste (PS) hat mit Benoit Hamon einen sehr linken Kandidaten für die Präsidentschaftwahl nominiert. Kann er die Grand Nation versöhnen?

Die französische Gesellschaft ist ein Abbild der gesamten westlichen Gesellschaft. Soziologisch zerfällt sie in die kleine und mittlere Bürgerschicht und in die Arbeiterklasse. Es gibt viele, die ausgeschlossen sind und8 Millionen Arme. Daraus ergeben sich sehr unterschiedliche Forderungen. Das politische Angebot bestimmt die Nachfrage und nicht die Nachfrage das politische Angebot. Das ist eine Umkehrung im Vergleich zu einer eher marxistischen Lesart der Gesellschaft. Was Hamon angeht: Er ist derklassische Linke der PS. Er hat für Michel Rocard gearbeitet, der bei uns immer eher als Rechter angesehen worden ist.

Richtig. Aber jetzt hat Hamon doch das Image sehr links zu sein...

Er ist nicht mit den klassischen Linken Forderungen in die Vorwahlen gegangen. Vielmehr spricht er viel von neuer sozialer Sicherheit, von Ökologie – was die PS bisher wenig getan hat – und er hat viel von Europa gesprochen. Er spricht aus seiner Sicht von einer neuen modernen Linken, auch wenn er bei ökonomischen Fragen linker ist als die Hollande-Regierung. Das ist aber kein Handicape für Hamon. Denn es gibt ein Missverhältnis zwischen den extrem positiven Ergebnisse der Politik Hollandes und der öffentlichen Wahrnehmung.

Die französische Präsidentschaftswahl ist durch einen sehr großen Europaskeptizismus geprägt. Woran liegt das?

Weil Europa nicht das gehalten hat, was es versprochen hat. Die Franzosen haben wie viele andere europäische Völker auch an das geglaubt, was man ihnen gesagt hat: Mit Europa werden wir Wachstum, Reichtum, Schutz, Demokratie haben – und dann wird all das in Frage gestellt. Wir haben ein Europa, das sehr weit weg ist, ein Europa, das nicht in Wachstum investiert, aber den Regierungen vorschlägt ihren öffentlichen Sektor und ihr Defizit zu reduzieren. Gleichzeitig ist es so einfach gewesen zu sagen, dass nicht das jeweils einzelne Land für seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten verantwortlich ist, sondern Europa. All das hat zu einer extrem antieuropäischen Stimmung geführt.

Der Sozialist Mélenchon, der als Präsidentschaftskandidat von den Kommunisten unterstützt wird, spricht einem gewissen Protektionismus und Nationalismus das Wort, der nicht weit weg von Marine Le Pen ist. Hilft das nicht mehr dem Front National als der Linken?

Jean-Luc Mélenchon ist näher an dem Italiener Beppo Grillo, als an der griechischen Syriza oder der spanischen Podemos. Mélenchon springt immer hin und her. Mal tritt er massiv antieuropäisch auf und unterscheidet sich nicht von Le Pen, dann sagt er wieder: entweder wir ändern Europa oder wir gehen. In Frankreich nennen wir das „linken Populismus“. Und diese linken Populisten verlassen die Linke und machen die institutionalisierte Linke zu einem Element der Macht, das es zu bekämpfen gilt.

Angenommen Marine LePen kommt in die Stichwahl, wer wäre der aussichtsreichste Konkurrent gegen sie?

Die aktuellen Präsidentschaftswahlen sind so schwierig wie noch nie in der V. Republik: Wir haben eine derart unmöglich Wahl noch nicht erlebt. Es lässt sich noch keine klare Richtung erkennen. Alle Favoriten sind geschlagen. Derzeit liegt Marine Le Pen leicht vor Macron an der Spitze der Umfragen für den ersten Wahlgang. Das Verrückte ist, dass alle anderen Kandidaten nicht dafür kämpfen, beim ersten Wahlgang vorne zu liegen sondern der beste Zweite zu werden, um in die Stichwahl zu kommen. Und dafür gibt es drei Kandidaten: Francois Fillon, der Kandidat der konservativen Rechten. Er ist sehr rechts und von Skandalen betroffen. Der zweite ist Emmanuel Macron, der ehemalige Wirtschaftsminister in der Regierung Hollande, der die rechte und die linke Mitte vereinen will, um in die zweite Runde zu kommen. Und es gibt Benoit Hamon in einem Bündnis mit den Grünen, die eine moderne Linke präsentieren wollen. Wer am Ende gewinnen wird, kann derzeit keiner sagen.

In dieser Situation wäre es doch schlüssig, dass sich die Linke zusammenrauft und auf einen Kandidat verständigt, um Le Pen zu verhindern. Warum funktioniert das nicht?

Das haben wir als PS getan, nur so kam die Einigung mit den Grünen zustande. Aber Mélenchon will sich nicht zurückziehen oder nur unter Bedingungen, die neue Probleme bringen. Was Macron angeht, verweigert er sich, weil er die rechte Mitte um Francois Bayrou für sich gewinnen will. Letztlich kann diese Verweigerungshaltung sogar dazu führen, dass die Linke in der Stichwahl nicht vertreten sein wird.

Können Sie einen „Anti-Trump-Effekt“ in Frankreich feststellen wie wir das in Deutschland tun?

Nein, das können wir nicht. Die Situation ist auch nicht die gleiche. Der Front National von Le Pen ist seit 30 Jahren in der französischen Politik etabliert, die AfD ist neu. Merkel ist, auch wenn sie in den Umfragen etwas verloren hat, sehr stark bei den Konservativen. Sie verhindert, dass rechten Strömungen in der Union einfach zur AfD gehen. In Frankreich dagegen hat die Krise der Konservativen nur Marine Le Pen gestärkt.

Wie kann man die Parti Socialist (PS) wieder stärken?

Die PS bleibt unabhängig von ihren Wahlergebnissen eine starke Partei. Es gibt viele Sozialisten, die denken, dass Macron näher als Hamon an dem ist, was sie für die französische Gesellschaft für notwendig halten. Dennoch verlassen sie die PS nicht, weil es ihre Partei ist. Man gewinnt mit dem Parteisiegel PS die Parlamentswahlen. Denn neben der Präsidentschaftswahl gibt es ja auch die Parlamentswahl. Wir müssen – und das ist vorrangig meine Aufgabe – die Partei zusammenhalten und Bedingungen für ideologische und organisatorische Veränderungen schaffen. Wir müssen uns von einem klassischen keynesianischen Sozialismus zu einem sozial-ökologischen Sozialismus bewegen – was übrigens das Thema von Benoit Hamon ist. Außerdem haben wir für die PS ein Generalüberholung vorgeschlagen. Wir sind in einer Allianz, die über die Sozialistische Partei hinaus geht. Am Ende müssen wir ein neues Bündnis der gesamtem Linken schaffen, wobei wir die beiden angesprochenen großen Strömungen, die die Linke ausmachen, integrieren müssen. Durch die ideologische und organisatorische Erneuerung werden wir die Menschen binden.

Sie kennen Martin Schulz sehr gut. Welche Rolle könnte er als Kanzler für die deutsch-französischen Beziehungen spielen?

Ich denke, wir sind am Ende der Merkel-Ära. Da gibt es auf der einen Seite ihren Machtverschleiß und auf der anderen Seite fehlt ihr auch die Fähigkeit, ein modernes Deutschland zu schaffen. Martin war nicht an der Schröder-Regierung und in keiner großen Koalition beteiligt, aber er ist ein Spitzenpolitiker von internationaler Statur und hat alle wichtigen Regierungschefs weltweit kennengelernt. Er kann ein modernes Deutschland schaffen und den Menschen Vertrauen geben. Er weiß er, dass Merkel mit ihrem harten Kurs zwar die Rente und den deutschen Haushalt gesichert, aber auch viele europäische Länder gegen Deutschland aufgebracht hat. Martin Schulz weiß das alles sehr gut und ich denke, dass dies das deutsch-französische Verhältnis verändern wird. Das brauchen wir für die Zukunft Europas. Wir brauchen in Frankreich und in Deutschland politische Führungsfiguren, die stärker pro-europäisch sind. Martin Schulz hat gesagt, ich bin nicht für ein deutsches Europa, sondern für ein europäisches Deutschland. Genau darum geht es.

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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