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Proteste gegen den Brexit: „Theresa May spricht nicht für uns!“

Über eine Millionen Menschen demonstrierten am Samstag in London für ein neues Referendum über den Brexit. „Theresa May spricht nicht für uns!“, so ihr Motto. Sie wollen den Verbleib in der EU – doch die Zeit ist knapp. Und wo steht Labour?
von Nicole Katsioulis · 25. März 2019

Zur Demonstration mit dem Titel „Put it to the People“ (Überlasse es dem Volk) waren am Samstag Menschen mit Bus und Bahn aus ganz Großbritannien angereist, aus Liverpool und Manchester, aus Schottland und Wales, junge wie ältere.

Stimmen gegen den Brexit

Auch viele in Großbritannien lebenden EU-Bürger schlossen sich der Demo an. Die Gründe, sich zu beteiligen, waren vielfältig: Manche forderten, man solle die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht begrenzen, diese sei wichtig und unterstütze nicht zuletzt das nationale Gesundheitssystem. Andere plädierten dafür, die offene Grenze zwischen der Irischen Republik und Nordirland zu erhalten.

Wieder andere brachten zum Ausdruck, dass die Politik nicht einfach die 48 Prozent der Wähler vergessen könne, welche für den Verbleib in der EU gestimmt hatten. Der Wille des Volkes könne schließlich nicht nur auf die 52 Prozent Brexit-Wähler zurückgeführt werden.

Für ein zweites Referendum

Es war eine bunte, sehr kreative, blau-gelbe Masse aus Protestierenden, die sich bis zum „Parliament Square“ durchschob, wo die Demonstration mit mehreren prominenten Rednerinnen und Rednern endete. Die Stimmung war insgesamt fröhlich, vor allem junge Menschen waren voller Optimismus und Hoffnung auf ein zweites Referendum.

Die Rufe nach einem zweiten Referendum werden immer lauter. Die Demonstration am Samstag war einer der größten Proteste in der Geschichte des Landes. Trotzdem gibt es im Unterhaus nicht genügend Unterstützung für diese Forderung. Nur eine Handvoll von Tory-Abgeordneten steht öffentlich hinter der Idee eines 2. Referendums. Viele Abgeordnete aus Wahlkreisen, die Brexit gewählt haben, stellen sich vollkommen dagegen.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Zeit bis zum Austritt ist äußerst knapp. Wenn es Theresa May in dieser Woche gelingt, eine Mehrheit im Unterhaus für ihren Austrittsvertrag zu bekommen, dann hat das Land bis zum 22. Mai Zeit, den Vertrag in britisches Recht zu überführen. Das wäre ein Tag vor der Europawahl. Einen No-Deal-Brexit würde es dann nicht geben.

Viel wahrscheinlicher ist jedoch eine andere Option: Der Austrittsvertrag wird ein drittes Mal im Parlament abgelehnt oder gar nicht mehr erneut zur Abstimmung vorgelegt. Das neue Austrittsdatum ist dann der 12. April – wie die EU Großbritannien bereits zugestanden hat. Bis zum 12. April muss Theresa May den Staats- und Regierungschefs der EU dann erläutern, welche nächsten Schritte sie plant und ob Großbritannien an der Europawahl Ende Mai teilnimmt.

May verliert Rückhalt

Ein ungeregelter Brexit am 29. März wäre damit zwar auch verhindert, kann aber immer noch zwei Wochen später erfolgen. Es ist nach wie vor unwahrscheinlich, dass es gelingt, die politische Krise, in der das Land steckt, schnell zu lösen.

Zumal Theresa May zunehmend und deutlich Rückhalt in den eigenen Reihen verliert. Sogar Kabinettsmitglieder verlangen inzwischen ihren Rücktritt. Die Zeitungen berichteten am Sonntag von einem „Putsch“ gegen Theresa May. Etliche Minister sollen bereit gewesen sein, sie zu stürzen.

Und dann tauchte auch noch die Information auf, dass eine Petition, die für die Rücknahme von Artikel 50 plädiert, inzwischen von fünf Millionen Menschen unterschrieben wurde.

Und was sagt Labour?

Im letzten Wahlprogramm von Labour hieß es, man würde das Ergebnis des Referendums von 2016 akzeptieren. In Liverpool beim Parteitag im September 2018 wurde dann allerdings beschlossen, dass ein zweites Referendum als Möglichkeit „auf dem Tisch bleibe“, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien. „Verbleib in der EU“ müsse bei einem solchen Referendum eine Antwortmöglichkeit sein.

Bei der gestrigen Demonstration war Jeremy Corbyn allerdings abwesend. Er befand sich auf einer Kundgebung in Morecambe Bay, einem Küstenort im Nordwesten Englands. Weiter weg hätte der seit eh und je europaskeptische Politiker vermutlich nicht „fliehen“ können. Ein zweites Referendum hat er bisher nur sehr halbherzig verteidigt. Lieber wirbt er für seinen eigenen softeren Brexit-Plan und versucht, Neuwahlen herbeizuführen.

Labour-Vertreter für Verbleib in EU

Andere prominente Labour-Vertreter setzen sich dagegen vehement für ein zweites Referendum ein. Keir Starmer, der Schatten-Brexit-Minister wirbt für den Verbleib in der EU. Tom Watson, Labours Stellvertretender Parteiführer hielt sogar eine flammende Rede auf der Demonstration.

Er sagte, Theresa May könne nicht länger die vielen Demonstranten ignorieren und solle dem Volk endlich die Chance für ein zweites Referendum geben. Er riet der Premierministerin, die Vorhänge aufzuziehen, den Fernseher anzuschalten und endlich hinzuschauen. Da seien viele Menschen, die sagen „Theresa May spricht nicht für uns!“

Autor*in
Nicole Katsioulis

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in London. Zuvor leitete sie das Büro der Stiftung in Athen.

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