Proteste in Frankreich: Wie Macron seine Rentenpläne durchsetzen kann
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In der Nacht zum Donnerstag hat der französische Senat - trotz aller Demonstrationen und massiver Proteste gegen die geplante Rentenreform in den vergangenen Wochen - einer schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre zugestimmt. Und das deutlich: Mit 201 Stimmen bei 115 Gegenstimmen votierten die Senator*innen für den Gesetzentwurf der Regierung. Über andere Teile der Reformpläne soll der Senat noch in dieser Woche entscheiden.
Votum des Parlaments steht noch aus
Damit hat Macrons zentrales Projekt eine wichtige Hürde genommen, entschieden ist aber weiterhin noch nichts. Denn die Rentenreform hat die Nationalversammlung noch nicht passiert. Und da die Regierung sich der eigenen Mehrheit in der Abgeordnetenkammer ganz und gar nicht sicher sein konnte, hatte sie vergangene Woche die Abstimmung dort gecancelt. Sobald der Senat seine Beratungen beendet hat, muss die Nationalversammlung ebenfalls zustimmen, was nicht gerade wahrscheinlich ist, oder eine Kommission müsste einen Kompromiss zwischen beiden Parlamentskammern aushandeln.
Oder aber drittens: Emmanuel Macron veranlasst „seine Ministerpräsidentin“ Élisabeth Borne, die Rentenreform per Dekret und ohne Abstimmung durchzusetzen. Das wäre völlig legal und ist in der Verfassung der Fünften Republik nach Artikel 49.3 so vorgesehen. Vieles spricht dafür, dass es so kommen wird.
Gesetz kann ohne Parlamentsvotum in Kraft treten
Artikel 49.3 erlaubt, einen Gesetzentwurf ohne Abstimmung durch die Assemblée Nationale zu bringen. Das Gesetz ist dann nur qua Sturz der Regierung zu verhindern. Sollte Borne dieses Verfahren auslösen, bliebe der Opposition nur die Möglichkeit, innerhalb von 24 Stunden einen Misstrauensantrag zu stellen. Erhält der die Mehrheit, ist das Gesetz abgelehnt und die Regierung gestürzt. In einem solchen Fall bliebe Macron kaum eine andere Wahl, als die Nationalversammlung aufzulösen und vorgezogene Neuwahlen anzuberaumen.
Fände das Misstrauensvotum aber keine Mehrheit - was die wahrscheinlichere Option ist, weil die konservativen Abgeordneten von Les Républicains bereits erklärt haben, sich einem Sturz nicht anschließen zu wollen, gewinnt die Regierung ihr Spiel: Das Gesetz gilt als angenommen.
Großdemonstrationen, Blockaden und Widerstand
Der Widerstand gegen die Rentenreform ist massiv – und das nicht allein bei den Gewerkschaften. Nach allen Umfragen unterstützen knapp 60 Prozent der französischen Bevölkerung die landesweiten Proteste, bei denen auch in dieser Woche Millionen Menschen auf die Straße gingen. Dienstag und Mittwoch haben die Proteste nahezu den gesamten Verkehr im Land lahmgelegt. Und sie werden am Wochenende fortgesetzt werden.
Die CGT hat zudem eine „schwarze Woche für die Energie“ ausgerufen. Man wolle die Wirtschaft des Landes zum Stillstand bringen, verkündete der Vorsitzende Philippe Martinez. Gas-, Wasser- und auch Atomkraftwerke sind bereits die ganze Woche über durch die Blockaden gezwungen, die Energieproduktion zu drosseln. Da die LKW-Fahrer ebenfalls im Ausstand sind und die Raffinerien blockieren, erreicht auch wenig Benzin die Tankstellen. Drei der vier LNG-Terminals stehen still und Bahnen wie Metros werden bestreikt.
„Höllenwoche“ für Emmanuel Macron?
Man muss dazu wissen: Die Beschäftigten in der Energie- und Gasindustrie profitieren derzeit – wie auch die Angestellten der Bahn SNCF – von Sonderregelungen, die großzügige Rentenberechnungen plus Kriterien für einen vorzeitigen Ruhestand mit Anfang bis Mitte Fünfzig vorsehen. Die Rentenreform würde solche Privilegien abschaffen.
Ein um zwei Jahre nach hinten verschobener Rentenbeginn ist für viele Französinnen und Franzosen tatsächlich ein „rotes Tuch“. Und das trotz im europäischen Vergleich hoher Renten und ausgesprochen großzügiger Bedingungen. Die martialischen Ankündigungen von Philippe Martinez, Macron eine „Höllenwoche“ zu bereiten und die Wirtschaft „landesweit zum Stillstand zu bringen“, teilen aber längst nicht alle. Laurent Berger, Generalsekretär der sozialdemokratischen Gewerkschaft CFDT, hat sich von derartigen Drohungen mehrfach distanziert.
Zwischen Konfrontation und Dialog
Parallel zur Mobilisierung zu für Samstag geplanten neuen Großdemonstrationen, fordert die CFDT, „dringend“ von Emmanuel Macron empfangen zu werden, „damit er seine Reform zurückzieht“. Das klingt erheblich konfrontativer als es gemeint ist. Denn das ist immer noch ein Gesprächsangebot.
Martinez dagegen hatte bereits alle Konsultationen zwischen Regierung und Sozialpartnern in Vorbereitung des Gesetzentwurfs zu „unnützen Treffen“ erklärt. Er sucht die volle Konfrontation, weil er fest daran glaubt, zu gewinnen. Wenn er sich da mal nicht täuscht. Das gilt hinsichtlich der Unterstützung der Proteste wie für die Entschlossenheit der Regierung. Höllenwochen mit Energie- und Benzinmangel, wie durch Lieferstopps verursachte steigende Preise möchten die Franzosen nämlich nicht erleben.
Macron hat nichts zu verlieren
Und Macron, der fest überzeugt ist, dass nur eine längere Lebensarbeitszeit die Rentenfinanzierung auf Dauer absichern kann, hat in seiner zweiten und mithin letzten Amtszeit nichts zu verlieren. Er kann seine Position auch qua Macht durchsetzen. Ein bisschen danach klingt die süffisante Replik von Regierungssprecher Olivier Véran auf Laurent Bergers Forderung nach einem Treffen. Véran erklärte, dass der Präsident der Republik „die Institutionen respektiert“ und das bedeute, „heute ist Parlamentszeit“. Sicher ist, Macron hat die Macht und die Möglichkeit, sich mit dem Paragraph 49.3 auch gegen Mehrheiten durchzusetzen. Ob er damit gut beraten wäre, steht auf einem anderen Blatt.