Progressive Allianz: Wie sich die internationale Sozialdemokratie für das neue Jahr aufstellt
Maurice Weiss/Ostkreuz
Ab Anfang Januar sind Sie neuer Koordinator der „Progressiven Allianz“. Was ist Ihre Aufgabe?
Die Aufgabenbeschreibung ist eigentlich selbsterklärend. Als PA-Koordinator koordiniere ich die Arbeit der Progressiven Allianz und den Austausch unter den rund 140 Parteien, die dort Mitglied sind und mitmachen. Entsprechend der Schwerpunkten, die wir uns gerade erst im November in Stockholm mit unserem Arbeitsprogramm gesetzt haben, organisiere ich in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern Veranstaltungen und Kampagnen. Ein Plan ist, die jährliche Vorstandssitzung der PA im Rahmen der UN-Vollversammlung in New York stattfinden zu lassen. Die Struktur der Progressiven Allianz ist etwas informeller als die anderer Parteien und ihrer Zusammenschlüsse. Deshalb heißt es Koordinator und nicht Generalsekretär oder ähnliches. Die Aufgaben sind aber dieselben.
Die „Progressive Allianz“ wurde im Mai 2013 als internationaler Zusammenschluss linker und progressiver Parteien gegründet. Wo steht sie fünfeinhalb Jahre später?
Knapp sechs Jahre nach ihrer Gründung ist die PA aus den Kinderschuhen herausgewachsen und ein solides Konstrukt. Wir haben eine kritische Masse an Parteien erreicht, die mitmachen und Koordinatoren auf allen Kontinenten. Neben dieser strukturellen Konsolidierung haben wir angefangen, uns mit den wesentlichen globalen Themen zu beschäftigen wie mit dem Kampf gegen den Klimawandel, der Digitalisierung und der Zukunft der Arbeit. Auf diese Weise ist unter den Parteien Vertrauen in die Zusammenarbeit gewachsen. Das ist eine wichtige Grundlage für unsere künftigen Vorhaben. Der nächste Schritt muss sein, sich weiter zu konsolidieren und deutlich zu machen, dass die sozialdemokratische Familie mit der Progressiven Allianz die starke globale Plattform hat.
Die gab es mit der „Sozialistischen Internationalen“ (SI) ja bereits vor Gründung der PA. Wo ist der Unterschied?
Es ist ja kein Geheimnis, dass die Progressive Allianz 2013 auch deshalb gegründet wurde, weil viele Parteien mit der Arbeit der SI unzufrieden gewesen sind. Natürlich hat die SI ihre historischen Verdienste und ich kann auch Parteien verstehen, denen es schwerfällt, ihr den Rücken zu kehren. Aber alle Parteien, die sowohl in der SI als auch in der PA aktiv sind, sagen uns, dass die inhaltlich interessanteren Debatten bei uns stattfinden. Ich würde mich übrigens freuen, wenn ein echter Reformprozess in der SI einsetzen würde, bin da aber leider nicht sehr optimistisch.
Die PA nennt sich „progressiv“ und nicht „sozialistisch“ oder „sozialdemokratisch“. Ist das bewusst gewählt?
Wir sind eine sozialdemokratisch und sozialistische Plattform, aber offen für andere Parteien, die eine progressive Politik verfolgen. Das gilt auch für Verbündete außerhalb der beteiligten Parteien wie zivilgesellschaftliche Organisationen oder Gewerkschaften. Die Einflusssphäre der Sozialdemokratie muss ausgeweitet werden und das geht nur durch neue Bündnisse. Von meinem Vorgänger Konstantin Woinoff ist da tolle Arbeit geleistet worden, aber nun werden die nächsten Schritte folgen.
Beim jüngsten Treffen in Stockholm im November wurden verschiedene Resolutionen beschlossen, u.a. zum Kampf gegen den Klimawandel. Wo sehen Sie sonst Schwerpunkte der politischen Arbeit im kommenden Jahr?
Die Klimafrage als soziale Frage zu begreifen und die Möglichkeiten zu nutzen, die im Ressort von Frans Timmermans als EU-Vize-Kommissionspräsident liegen, wird ein wichtiges Arbeitsfeld im kommenden Jahr sein. Die Sozialdemokratie kann und muss sich hier stärker profilieren. Der Klimawandel kann nicht national bekämpft werden, auch wenn Konservative immer wieder versuchen, uns das weiszumachen. Ein weiteres Thema ist für uns die Zukunft der Arbeit vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Und auch die weltweite Migration wird uns weiter beschäftigen. Auch wenn manche meinen, damit könne man nicht gewinnen, ist klar: Wenn wir uns nicht damit auseinandersetzen, werden alle verlieren.
Wie sehen Sie die SPD international aufgestellt?
Internationalismus war immer ein elementarer Bestandteil der SPD. Auch heute sind wir europäisch und international engagiert – und zwar nicht nur über gute sozialdemokratische Außenminister und Staatssekretäre, sondern mit der ganzen Partei. Das geht schon bei den Jusos los, die bei YES (Young European Socialists) und IUSY (International Union of Socialist Youth) mitmachen. Die Progressive Allianz ist ja auch auf Betreiben der SPD entstanden. Allerdings beobachte ich auch innerhalb der SPD eine zu häufig Fokussierung auf das Nationale. Große Wirtschaftsmacht, gutes Sozialsystem – da müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht nur um nationale Lösungen kümmern. Das Erbe von Willy Brandt muss für uns bedeuten, dass wir uns als deutsche Sozialdemokratie den Internationalismus immer auf die Fahne schreiben und ihn verteidigen. Und allen, die denken, mit der Sozialdemokratie geht es weltweit zu Ende, will ich sagen: Ihr werdet euch noch wundern.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.