Präsidentschaftswahl in Brasilien: Kurz vor dem Abgrund
Die Mystery-Serie „Dark“ wurde in diesem Jahr mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Die zentrale These der ersten deutschen Netflix-Produktion ist: Die Geschichte wiederholt sich alle 33 Jahre. So lange ist es her, dass in Brasilien die Militärdiktatur endete. 33 Jahre später steht Jair Bolsonaro kurz davor, Präsident zu werden. Ein Rechtsextremer, der das dunkelste Kapitel in Brasiliens Geschichte glorifiziert, der es als größtes Manko der Militärdiktatur ansieht, ihre Gegner gefoltert und nicht gleich getötet zu haben. Wer so jemanden wählt, legt keinen Wert auf Demokratie.
Wie viele Demokraten hat Brasilien noch?
Doch Bolsonaros Erfolg resultiert aus einem Mangel an Alternativen. Die einst so stolze Arbeiterpartei PT hat durch den Korruptionsskandal „Lava Jato“ an Vertrauen und Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Ihr Kandidat Fernando Haddad, der frühere Bürgermeister von São Paulo, hat mit 29,3 Prozent zwar deutlich besser abgeschnitten als erwartet. Das Potenzial seiner Partei hat er jedoch bereits vollständig ausgeschöpft.
Mehr als 22 Millionen Stimmen muss Haddad dazugewinnen, um die Stichwahl für sich zu entscheiden. Dafür bleibt ihm nur die Flucht nach vorne. Kurz nach der Wahl kündigte der 55-Jährige an, „die Demokraten Brasiliens vereinigen“ zu wollen. Eine ehrenwerte Haltung, deren Erfolg fraglich ist. Denn die Frage stellt sich seit Sonntagabend mehr denn je, ob die Demokraten in Brasilien überhaupt noch in der Mehrheit sind.
Es wird schwer, Bolsonaro aufzuhalten
Der zuvor unbekannte Kongressabgeordnete Jair Bolsonaro von der unbedeutenden Splitterpartei PSL hat es innerhalb kurzer Zeit geschafft, der brasilianischen Demokratie ihre größten Schwachstellen aufzuzeigen. Dabei bedient sich der Rechtsextreme ähnlicher Strategien wie Donald Trump in den USA. Er setzt auf einen nationalistischen Kurs der Ausgrenzung. Damit begeistert er Evangelikale und Großindustrielle. Gleichzeitig hetzt er gegen Homosexuelle, Gewerkschafter, Schwarze, Indigene und Umweltschützer.
Schon jetzt ist klar: Es wird schwer, Bolsonaro noch aufzuhalten. Die Zeit spielt ihm in die Karten. Schon in den Tagen vor dem ersten Wahlgang stieg seine Populärität stetig an. Sein Kurs ist erfolgreich und es fehlen ihm vergleichsweise wenige Stimmen, um die Stichwahl für sich zu entscheiden. Zugleich ist er derjenige Kandidat mit der höchsten Ablehnungsquote.
Drei Wochen, um eine Reise in die Vergangenheit zu verhindern
Darin besteht eine Chance für die Demokratie in Brasilien, womöglich die letzte. Drei Wochen bleiben bis zur Stichwahl am 28. Oktober. Drei Wochen, die das Land weiter spalten und polarisieren werden. Aber auch drei Wochen, um zu verhindern, dass Brasilien mit Bolsonaro einen rechtsextremen Präsidenten bekommt, dessen Politik einer Reise 33 Jahre zurück in die Militärdiktatur gleich kommt. Schon jetzt steht die brasilianische Demokratie kurz vor dem Abgrund.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo