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Präsident für immer? Wie Wladimir Putin seine Macht retten will

Russlands Präsident Wladimir Putin kann bis 2036 im Amt bleiben. Von außen betrachtet scheint seine Macht unerschütterlich. Tatsächlich hat er jedoch mit Problemen zu kämpfen. Die Verlängerung seiner Amtszeit ist Ausdruck davon.
von Dmitri Stratievski · 7. April 2021
Russlands Präsident Wladimir Putin: Er kann von der Macht nicht lassen.
Russlands Präsident Wladimir Putin: Er kann von der Macht nicht lassen.

Der russische Staatschef Wladimir Putin hat das Gesetz zur neuen Regelung der Präsidentenamtszeiten unterschrieben. Damit kann er bis zum Jahr 2036 weiterregieren. Diese Entscheidung beendet die umfassendste Verfassungsreform der jüngsten russischen Geschichte, die über ein Jahr gedauert hat. Was steckt neben dem reinen Erhalt der persönlichen Macht dahinter?

Qual der Wahl

Es war längst klar: Putin wird seine Macht auch nach der nächsten Präsidentschaftswahl 2024 nicht abgeben, obwohl in Expertenkreisen die Meinung herrschte, dass er unter Umständen auf seine Kandidatur verzichten könnte. Die Frage bestand lediglich darin, wie das jetzige Staatsoberhaupt die russische Politik weiter prägen wird. Im Gespräch waren Leitungspositionen in verschiedenen Regierungsinstitutionen des Landes, die im Laufe der Zeit zu Ungunsten des Präsidentenamtes mehr Befugnisse bekommen hätten. So hatte es Putins ehemaliger Amtskollege Nursultan Nasarbajew im benachbarten Kasachstan gemacht. Er kontrolliert nach dem Rücktritt 2019 in seiner neuen Rolle als Chef des Sicherheitsrates und Inhaber des Ehrentitels „Führer der Nation“ weiterhin das Geschehen im ganzen Land.

Die Antwort auf die Machtfrage in Russland kam im März 2020, als in der Duma vorgeschlagen wurde, Putins bisherige Amtszeiten zu annullieren. Bis zuletzt schien jedoch diese Lösung für viele Beobachter unlogisch und nur als eine von vielen Varianten, denn Putin kann auf einer breiten Klaviatur spielen und priorisierte bisher die Machtsicherungsoptionen, die zumindest formell der russischen Gesetzgebung entsprachen. Nun ist die neue Regelung amtlich. 

Spiel auf Zeit  

Auch wenn es bei oberflächlicher Betrachtung scheint, Putins Position sei in Russland unerschütterlich, hat der Kremlchef doch einige Probleme. Im Gegensatz zum vergangenen Jahrzehnt, als Dmitrij Medwedew das höchste Amt provisorisch bekleidete, hat Putin immer noch keinen geeigneten Nachfolger für eine mögliche Rochade. Die Lage ist unübersichtlich wie nie zuvor. Alle Top-Politiker aus dem engen Kreis Putins, die noch vor kurzem infrage kommen könnten wie Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin, Ministerpräsident Michail Mischustin oder Verteidigungsminister Sergej Schojgu, werden momentan nicht mehr hoch gehandelt. Das beflügelt die Machtkämpfe und gefährdet die „Stabilität“ im Land, die Putin am höchsten schätzt. Eine Atempause ist dringend vonnöten.

Die beschlossene Annullierung gilt übrigens für alle Ex-Präsidenten. So könnte Putin 2024 notfalls erneut auf Medwedew als Nachfolger setzten. Derzeit ist die russische Führung mit vielen Herausforderungen im Inland konfrontiert. 2020 sank das Bruttoinlandsprodukt Russlands um 3,1 Prozent. Das ist der stärkste Rückgang seit dem Weltkrisenjahr 2009. Das Realeinkommen der Bevölkerung ist gegenwärtig 10 Prozent niedriger als 2013. Etwa 20 Millionen Russen leben nach offiziellen Angaben unter der Armutsgrenze.

Korruption im ganzen Land

In den letzten Jahren wurden allein 14 Gouverneure wegen Korruption festgenommen. Das Protestpotential ist nicht zu vernachlässigen. Die Straßenproteste in der fernöstlichen Großstadt Chabarowsk dauern seit Juli 2020 bis heute an. Alexejs Nawalnys Einhüllungsvideo „Palast für Putin“ wurde auf Youtube ca. 116 Millionen mal gesehen und knapp zwei Millionen mal kommentiert.

Somit braucht Putin eine starke Botschaft an seinen Umkreis, an regionale Akteure, an seine Anhänger wie seine Gegner in Russland: Er sitzt fest im Sattel. Nicht zuletzt sendet er damit ein Signal an die Weltgemeinschaft: Kein Kurswechsel ist in Planung, das jetzige Modell bleibt für absehbare Zeit unberührt.

Aktion „Systemrettung“

Der Freifahrtschein für Putins nächste Amtszeiten bedeutet nicht zwingend, dass er wirklich bis zu seinem 84. Lebensjahr Staatsoberhaupt bleibt und somit alle Rekorde der russischen Geschichte seit Peter dem Großen im 18. Jahrhundert bricht. Abhängig von der politischen und wirtschaftlichen Lage kann er künftig von einer anderen Option Gebrauch nehmen. Er startete die Verfassungsänderung sehr früh, vier Jahre vor der nächsten Präsidentschaftswahl, und vollzog das Verfahren ungeachtet der Pandemie möglichst schnell, mit dem Ziel, das vorhandene Entwicklungsmodell Russlands zu betonieren.

Eines steht fest: Aktuell kann es sich Putin nicht erlauben, wie in Kasachstan als „Vater der Nation“, aus dem Schatten zu regieren. Das wäre aus Sicht der Kreml-Strategen zu risikoreich. Der Preis für die fehlende freie politische Konkurrenz ist hoch. Das „System Putin“ orientiert sich im höchsten Maße an Putin als Führungsfigur. Große und kleine Mitspieler, ob in Moskau oder in einem von der Hauptstadt weit entfernten Ort, erwarten vom Kreml eine Sicherheitsgarantie für ihre Plätze in dem vor 20 Jahre erschaffenen gesellschaftspolitischen Machtsystem. Sonst gerät dieses System ins Wanken. Putins Entscheidung soll kurzfristig wirken. Sie soll nicht das „Problem-2036“ oder „2024“, sondern hauptsächlich das akute „Problem-2021“ lösen.

Autor*in
Dmitri Stratievski

ist promovierter Historiker, Politologe und Osteuropa-Experte.

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