Poroschenko erringt Etappensieg gegen Oligarchie
Petro Poroschenko hat seinen prominentesten Gouverneur entlassen, den Milliardär Ihor Kolomojskij. Die Entlassung des äußerst einflussreichen Gouverneurs von Dnipropetrowsk Anfang dieser Woche ist die Zuspitzung eines Machtkampfes, der noch lange nicht zu Ende ist, aber die Position des ukrainischen Präsidenten erst einmal gestärkt hat. Denn die ukrainischen Berichterstatter und Meinungsführer benutzen bei der Beschreibung der Entlassung und ihrer Umstände am häufigsten das Wort „korrekt“.
Der Ursprung der Macht der Oligarchen
Kolomojskij, eine graue Eminenz der ukrainischen Politik, wurde erst nach dem Maidan-Sieg international bekannt. Doch seine Macht erlangte er viel früher und durch Umstände, welche die Ukraine bis heute belasten. Der Ursprung des Konflikts zwischen Kolomojskij und Poroschenko liegt in der Struktur des ukrainischen Staats. Die Herrschaft der Kommunisten wurde in den 1990er Jahren durch die Herrschaft der Neureichen ersetzt, die jeden Versuch blockierten, eine funktions- und handlungsfähige Demokratie aufzubauen.
Das Zweckbündnis zwischen Poroschenko und Kolomojskij
Nach dem Machtwechsel 2014 entstand eine neue Konstellation. Zum ersten Mal wurde ein Oligarch, Poroschenko, zum Staatspräsidenten gewählt, während ein anderer Oligarch, Kolomojskij, vom Wegfall seiner mächtigen Gegenspieler wie Rinat Achmetow aus Donezk profitierte. Zwischen den beiden Politikern bestand ein Zweckbündnis: Kolomojskij sicherte Ruhe in seiner Region und finanzierte großzügig die „Anti-Terror-Operation“ im Osten des Landes. Poroschenko gewährte dem Gouverneur Kolomojskij formelle und informelle Sonderrechte in seinem Kerngebiet und in den benachbarten südostukrainischen Landstrichen.
Der Konflikt war daher programmiert. Kolomojskijs Beitrag zur Festigung der territorialen Integrität der Ukraine hatte keine altruistischen, sondern pragmatische Gründe und diente von vornherein der Vergrößerung seines Einflussbereichs und seines Vermögens.
Internationaler Druck auf Kiew
Poroschenko musste als Präsident eines finanziell am Boden liegenden Landes wenigstens bei den strategisch wichtigen Wirtschaftszweigen wie der Energielieferung den Appetit seines Gouverneurs eindämmen. Und er musste internationalen Forderungen nachkommen: Noch im Dezember 2014 drohten Merkel und Hollande unmissverständlich mit dem Stopp der Finanzhilfen, sollte Kiew den bisherigen Zickzack-Kurs in seiner Wirtschaftspolitik beibehalten. Gemeint war unter anderem die zu loyale Haltung gegenüber den Oligarchen, die sich mit den korrupten und intransparenten Verhältnissen wohlfühlten.
Mehr staatlicher Einfluss im Energie-Sektor
Nach der Unterzeichnung des Minsker Abkommens bemühte sich Poroschenko verstärkt, minimale Ansätze der Regierbarkeit im staatlichen Energiesektor zu schaffen. So beschloss das Parlament für das mehrheitlich dem Staat gehörende Erdöl- und Gasunternehmen Ukrnafta, die Hürde zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung zu erhöhen. Das stärkte die Position des Staates im Unternehmen. Und Mustafa Najem, Mitglied der Poroschenko-Fraktion im Parlament, bezifferte öffentlich die Verluste des ukrainischen Staatshaushaltes durch die Steuerhinterziehung von Kolomojskijs Unternehmen im Energie-Sektor auf sechs Milliarden Hriwna (rund 200 Millionen Euro).
Kolomojskij schlägt zurück
Der Oligarch, dem angeblich etwa 42 Prozent der Aktien von Ukrnafta gehören, ging zum Gegenangriff über. In einem Interview mit dem von ihm kontrollierten Sender 1+1 bezeichnete er die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk als „zwei Subjekte“, die sich „zu unserem großen Bedauern etabliert haben“.
Das war als Warnzeichen an Poroschenko zu deuten. Kiew hielt trotzdem Kurs und setzte den Kolomojskij-treuen Ukrnafta-Vorsitzenden ab. Der Oligarch reagierte darauf mit einer Blockade der Firmenzentralen von Ukrnafta und dem zweiten halbstaatlichen Energie-Unternehmen Ukrtransnafta, indem er sie von bewaffneten Männern besetzen ließ. Damit überschritt er eindeutig eine rote Linie.
Der Machtkampf geht weiter
Wie wird sich der Konflikt entwickeln? Drei Szenarien sind möglich. 1. Der Konflikt wird weiter eskalieren und die ganze Ukraine beschäftigen, auf allen Ebenen. Kolomojskij hat ein Eigenkapital von etwa zwei Milliarden US-Dollar. Er kontrolliert mutmaßlich knapp 30 Parlamentsabgeordnete, viele Politiker auf regionaler und kommunaler Ebene und mehrere Freiwilligen-Bataillone. Allein das Bataillon Dnepr-1 besteht aus über 500 gut bewaffneten Männern mit Kriegserfahrung. 2. Kolomojskij wird in versteckter Form lokal weiterkämpfen und versuchen, die Zentralregierung mit der Destabilisierung von Dnipropetrowsk und vielleicht Odessa einzuschüchtern. 3. Kolomojskij wird sich mit der aktuellen Gemengelage erst mal abfinden und seine Stellung als einflussreicher Player der ukrainischen Politik behalten, wenn auch vorübergehend geschwächt.
Oligarch in der Defensive
Am wahrscheinlichsten ist die dritte Variante. Kolomojskij ist bereits in die Defensive gegangen. Er verfügt über wenig Ressourcen, um Poroschenko samt verbündeten Oligarchen zu besiegen. Auf Unterstützung aus Washington, Brüssel oder Moskau kann er nicht zählen. Der Westen steht auf Poroschenkos Seite und für den Kreml ist Kolomojskij ein Bösewicht, weil Gegner beim Kampf um die Ostukraine. Die russische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen „Massenmord und verbrecherischer Kriegsführung“.
Vieles deutet darauf hin, dass Kolomojskij auf Versöhnungskurs geht. Die geplante regierungskritische „Volksversammlung“ in Dnipropetrowsk wurde abgesagt und von Kolomojskijs Umfeld als „persönliche Initiative eines Abgeordneten“ bezeichnet. So wird eventuell Frieden geschlossen, auch wenn der Konflikt jederzeit wieder aufbrechen kann.
Chance auf mehr Demokratie
Für den Ruf einer Regierung ist es in der Regel schädlich, wenn ehemalige politische Weggefährten sich öffentlich bekämpfen. Im Sonderfall Ukraine aber ist die Vorherrschaft der Oligarchen genauso gefährlich für den Staat wie der Separatismus. Unter diesem Gesichtspunkt scheint die öffentliche Klärung alter Feindschaften positiv zu sein und kann die Demokratisierung der Ukraine voranbringen.