Poroschenko in Berlin: Warum Kiew so dringend Hilfe aus dem Westen braucht
Am Dienstag beginnt der Deutschland-Besuch des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Hier wird er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Heiko Maas treffen. Schwierige Themen stehen auf dem Programm: die UN-Friedensmission in der Ostukraine, der Bau der deutsch-russischen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und die stockenden innerukrainischen Reformen. Keine leichte Aufgabe für Poroschenko.
Blauhelme im Donbass – Umsetzung ungewiss
Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin erwartet von dem Besuch in Berlin eine „klare Koordination“ der künftigen Friedensmission und „klare Schritte dafür“. Die Kiewer Regierung steht innenpolitisch zunehmend unter Druck. Während die Nationalisten für eine schnelle gewaltsame Lösung des Ostukraine-Konfliktes plädieren, zeigt sich die ukrainische Bevölkerung kriegsmüde.
Poroschenko braucht dringend Rückenwind aus dem Westen und eine geschlossene Haltung zum Blauhelm-Einsatz. Kiew kann mit einer verbalen Unterstützung aus Berlin, Brüssel und Washington rechnen. Allerdings ist das keine Garantie, dass die Vorbereitung der UN-Mission vorankommt.
Moskau bleibt bei UN-Mission hart
Russlands Position bleibt nämlich unverändert. Moskau beharrt auf stark eingeschränkten Kompetenzen der UN-Friedenstruppen. Deren Stationierung soll ausschließlich entlang der Trennlinie im Kriegsgebiet erfolgen und nicht an der ukrainisch-russischen Grenze. Auch sollen nach dem Willen des Kreml die UN-Truppen kaum Kontrollbefugnisse in den russisch kontrollierten „Volksrepubliken“ der Ostukraine haben.
Kiew verlangt dagegen einen uneingeschränkten Zugang der Blauhelm-Soldaten zur ukrainisch-russischen Grenze unweit von Donezk und Luhansk. Der Streit ist in einer Sackgasse: Formell haben zwar alle Parteien UN-Friedenstruppen begrüßt, in der Praxis tendiert wegen des Streits um die konkrete Umsetung die Realisierungschance jedoch gegen Null.
Skeptische Töne aus Berlin und Brüssel
Die Bundesregierung betont die Bedeutung der Ukraine für die Sicherheit und Stabilität in Europa. Berlin greift Kiew politisch und finanziell weiterhin unter die Arme. Zugleich herrscht in der deutschen Politik eine gewisse Frustration über den Stand der ukrainischen Reformen.
Zur Erfolgsgeschichte der Reformen zählt unbestritten das Dezentralisierungsprojekt, das den Kommunen mehr Autonomie gewährt. Heute können Lviv, Dnipro oder Odessa ohne aufwendige Absprache mit Kiew selbst entscheiden, wann und in welchem Umfang Gebäude saniert, Pflastersteine verlegt oder Kleinbrücken gebaut werden. Darüber hinaus erhalten die Kommunen mehr Steuern, so dass ihre Einnahmen um 30 Prozent gestiegen sind.
Schwierigkeiten bei Bekämpfung der Korruption
Andere Reformversuche sind dagegen bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt. Die Modernisierung im Bereich Gesundheitswesen, Bildung und Gerichtsbarkeit kommt entweder schleppend voran oder ist ins Stocken geraten. Der ukrainische Staat ist in der Implementierung von EU-Standards auffallend hinter dem Zeitplan. Nicht zuletzt bestehen immer noch enorme Schwierigkeiten bei der Korruptionsbekämpfung, der größten Hürde für die Ukraine im EU-Annäherungsprozess.
Brüssel und Berlin hoffen immer noch auf eine Beschleunigung der ukrainischen Reformen. Zugleich verlauten aus den europäischen Hauptstädten immer deutlichere Töne. Europa warnt: Ohne sichtbare Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption drohe das ukrainische Erneuerungsprojekt zu scheitern.
Angespannte Lage im Innern der Ukraine
Die ukrainische Bevölkerung ist von der etablierten Politik tief enttäuscht. Die Wiederwahl Poroschenkos 2019 ist alles andere als sicher. In Moment kann er mit nur 10 Prozent der Stimmen rechnen, gleichlauf mit dem ehemaligen Janukowytsch-Vertrauten Jurij Boiko. Poroschenkos Erzrivalin Julia Tymoschenko führt jetzt in den Umfragen mit 14 Prozent.
Präsident Poroschenko versucht, mit seinen politischen Kontrahenten neue Bündnisse zu schmieden, um Tymoschenko zu verhindern. Das schwächt den ukrainischen Parlamentarismus. Keine der Rada-Parteien liegt derzeit in den Umfragen über 7 Prozent.
Ukrainer frustriert, Rechtsradikale profitieren
Die Stimmen der Rechtsradikalen werden lauter. Sie sehen in Poroschenko eine Verkörperung des Oligarchentums, lehnen die humanistischen Werte ab, betrachten den Westen als „Verräter“ der ukrainischen Unabhängigkeit und setzten auf eine „starke Ukraine“, einschließlich der nuklearen Wiederbewaffnung des Landes.
Die ukrainische Regierung befindet sich eingeklemmt, zwischen dem Druck der Straße, der Offensive der politischen Konkurrenz, den Erwartungen des Westens und schließlich den andauernden Destabilisierungsangriffen aus Russland. Die ukrainische Gesellschaft hat keine meinungsführenden Hoffnungsträger mehr und drängt auf rasche Verbesserungen im Alltag. Das schafft Nährboden für Populisten jeder Art und bremst den Aufstieg der neuen pragmatischen Politiker-Generation, die in der Ukraine durchaus vorhanden ist.