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Polen vor der Wahl: Wer regiert künftig in Warschau?

Am Sonntag wählen die Polen ein neues Parlament. Klar ist: Die national-konservative PiS wird die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen. Ob sie auch regieren wird, ist allerdings offen.
von Joanna Andrychowicz-Skrzeba · 23. Oktober 2015
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Am Sonntag finden Parlamentswahlen in Polen statt – zumindest das gehört zu den wenigen Dingen, die zum Ende des Wahlkampfs gewiss sind. Unklar bleibt, wie stark die einzelnen Parteien abschneiden werden und welche von ihnen die 5-Prozent-Hürde überspringen werden – ob es nur drei oder sogar sieben Parteien sein werden. Die Präsidentschaftswahl im Mai hat klar vor Augen geführt, dass sich die polnische Gesellschaft zurzeit rasant verändert und schwer einzuschätzen ist.

Zu Beginn des Jahres hätte angesichts einer Unterstützung von 65 Prozent für den damals amtierenden Präsidenten Komorowski von der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) niemand den Sieg Andrzej Dudas von der national-konservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) erwartet. Beim aktuellen Wahlkampf zwischen den beiden stärksten Parteien, PO und PiS, dreht es sich nahezu nur noch darum, ob die PiS alleine die Regierung stellt. Denn fest steht bereits vor dem Urnengang am Sonntag: die PiS wird die Mehrheit der Stimmen erhalten.

Die regierende PO ist müde

Nach acht Jahren an der Regierung zeigen sich Ermüdungserscheinungen sowohl in der Gesellschaft, als auch in der PO selbst. Eine Abhöraffäre aus dem vergangenen Jahr, bei der wichtige Funktionsträger des Staates abgehört wurden, lastet noch immer auf der Partei. Hinzu kommt ein Glaubwürdigkeitsproblem, resultierend aus nicht umgesetzten Wahlversprechen.

Die PiS hat dagegen in den vergangenene Monaten einen Imagewandel zu einer moderateren politischen Kraft vollzogen. Deswegen hielt sich der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński während des Wahlkampfes lange Zeit im Hintergrund, sodass die Selbstdarstellung der PO als einzige Alternative zur PiS nicht mehr funktionierte. Hinzu kommt das Erscheinen neuer Akteure auf der politischen Bühne.

Neue politische Kräfte kämpfen um den Einzug ins Parlament

Das betrifft zum einen die „neuen“ linken Kräften. Da ein Wiedereinzug der sozialdemokratischen SLD in den Sejm nach der Niederlage bei der Präsidentschaftswahl als gefährdet galt, gründete man gemeinsam mit anderen linken Parteien die Wahlkoalition Vereinigte Linke. Das Aushängeschild der Wahlkampagne ist Barbara Nowacka, die der Linken neues Leben einhauchte.

Das Bündnis hat gute Chancen in den Sejm einzuziehen, nur ihre Aufgabe ist um einiges schwerer als für PO und PiS – als Koalition muss sie eine 8-Prozent-Hürde überwinden. Die neu gegründete Partei „Razem“ (Zusammen), deren Prognosen sich zwar nur bei ein Prozent bewegen, stellt ebenfalls eine bemerkenswerte Initiative dar – mit einem sozialdemokratischen Programm und einer Parteibasis junger Aktivisten.

Zwei neue politische Kräfte könnten Teile der enttäuschten PO-Wähler an sich binden: die wirtschaftsliberale „Nowoczesna“ (Modern) und das Komitee des Rockmusikers Paweł Kukiz, der überraschend in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl mit 21 Prozent den dritten Platz erringen konnte. Aber sein unberechenbares Vorgehen, die Absage ein Parteiprogramm zu erstellen und eine rechtsnationalistische Ausrichtung, führten dazu, dass Kukiz um den bereits sicher geglaubten Einzug ins Parlament fürchten muss.

Wer bildet eine Regierung mit der PiS?

Vergleichbare Chancen auf einen Einzug hat der kontroverse Europaabgeordnete Korwin-Mikke, der mit seiner neuen Partei „KORWiN“ auf das Flüchtlingsthema und damit verbundene Ängste einer drohenden Islamisierung setzt. Je mehr Parteien im neuen Sejm vertreten sein werden, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die PiS allein regieren kann. Als Koalitionspartner kämen „KORWiN“ und insbesondere die Kukiz-Partei infrage. Letzterer hat sich bereits bereit erklärt, Ad-hoc-Koalitionen in den wichtigsten Angelegenheiten zu vereinbaren. Auch die Parteispitze der Bauernpartei PSL, noch Koalitionspartner der PO, lehnt Verhandlungen mit PiS nicht ab.

Die noch vor kurzem angekündigte potenzielle Koalition aller Sejm-Parteien gegen PiS scheint hingegen immer weniger wahrscheinlich. Zwar könnte sie eine PiS-Regierung verhindern, müsste dazu aber die programmatische Kluft überbrücken. Eine solche Konstellation würde voraussichtlich zu Neuwahlen vor Ablauf der Legislaturperiode führen.

Erst am Wahlabend am Sonntag wird sich zeigen, wer sich durchsetzt und die Parteien werden wieder zum normalen politischen Diskurs samt programmatischer Inhalte zurückkehren. Während des Wahlkampfes blieb dies oftmals auf der Strecke, stattdessen beschränkte sich die Debatte darauf, den jeweiligen Widersachern persönliche Schläge zu versetzen. Themen mit internationaler Relevanz werden in Zukunft wieder an Bedeutung gewinnen und hoffentlich treten die im Wahlkampf in die ersten Parteireihen gestellten jungen Politiker und weibliche Spitzenkandidaten nicht wieder in den Hintergrund.

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Joanna Andrychowicz-Skrzeba

ist Germanistin, promovierte Geisteswissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Polen.

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