Polen-Beauftragter Nietan verurteilt „aggressive antideutsche Politik“
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Dietmar Nietan, immer wieder sorgen die deutsch-polnischen Beziehungen für Negativschlagzeilen. Aktuell beim Fischsterben in der Oder. Es heißt, hier funktioniere nicht einmal mehr der Informationsaustausch auf Beamt*innenebene. Sind die Beziehungen wirklich so schlecht?
Die Beziehungen sind leider zur Zeit in keinem guten Zustand. Die Informationspolitik der polnischen Seite zum Fischsterben in der Oder war für mich aber kein bewusster politischer Akt. Wenn die polnische Umweltministerin in einem Tweet von Fake News aus Deutschland spricht, ist das eine andere Sache. Auf der anderen Seite hat mich mein polnischer Koordinatorenkollege Bartosz Grodecki letzte Woche persönlich informiert und versichert, dass man die Zusammenarbeit mit Deutschland an der Oder fortsetzen will.
Vor kurzem gab es aus Polen heftige Vorwürfe an die Bundesregierung. Es hieß, Warschau habe Waffen an die Ukraine geliefert und sei dann beim Austausch durch Lieferungen aus Deutschland im Zuge des Ringtausches getäuscht und im Stich gelassen worden. Treffen diese Vorwürfe zu?
Die treffen absolut nicht zu. Polen hat lobenswerterweise sehr früh über 200 Panzer in die Ukraine geliefert – als noch gar nicht klar war, ob es einen Ringtausch geben würde. Erst danach hat man sich an Berlin gewandt. Polen will nun neueste deutsche Leopard II-Panzer. Die können wir aber nicht liefern, weil die wenigen Leopard II der Bundeswehr für unsere Verteidigungsfähigkeit und Bündnisverpflichtungen in der NATO gebraucht werden. Die fortdauernde öffentliche Kritik der polnischen Regierung ist leider politisch motiviert.
Um die schlechte Ausstattung der Bundeswehr – auch mit Panzern – zu verbessern, hat Bundeskanzler Scholz das Sondervermögen der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro initiiert und durchgesetzt. Wird das in Polen wertgeschätzt?
Viele meiner polnischen Freunde sind erleichtert und loben Olaf Scholz‘ Zeitenwende. Dennoch gibt es bei allen auch die tiefe Enttäuschung, dass die jahrelangen Warnungen aller polnischen Regierungen – egal von welcher Partei – vor den wahren Absichten Putins in Deutschland nicht gehört wurden. Die historischen Erfahrungen der Polen mit Russland haben wir zu wenig wertgeschätzt.
Was kann Deutschland überhaupt tun, um die Beziehungen zu verbessern, wenn es das Ziel der aktuellen polnischen Regierung ist, sich bewusst gegen Deutschland zu positionieren, um damit innenpolitisch zu punkten, etwa im Wahlkampf?
Das ist in der Tat ein großes Problem. Die aggressive antideutsche Politik der PiS wird sich nicht ändern, aber wir sollten ihr nicht noch die Steilvorlagen liefern. Deshalb darf es keinen Anlass für Zweifel an unserer Solidarität mit der Ukraine und den anderen mittel-und osteuropäischen Staaten geben. Wir sollten die Menschen in Polen, die immer noch auf uns als Partner setzen, nicht weiter enttäuschen.
Inwieweit treffen die antideutschen Ressentiments der Warschauer Regierung auf Zustimmung in der polnischen Bevölkerung?
Auch wenn die Enttäuschung über Deutschland zur Zeit sehr groß ist, wünschen sich die meisten Polen eine gute Zusammenarbeit mit Deutschland und eine konstruktive EU Mitgliedschaft Polens. Ebenso wünschen sie sich völlig zu recht eine größere deutsche Wertschätzung für Polen, seine Geschichte und seine Leistungen für ein freies Europa. Aber es gilt auch: Wer seine Informationen vorwiegend aus dem staatlich kontrollierten polnischen Fernsehen bezieht, ist sicherlich stärker geprägt von antideutschen Ressentiments.
Warum?
Weil die PiS das staatliche Fernsehen zu ihrer Propagandamaschine umfunktioniert hat. Auf den staatlichen Sendern vergeht kein Tag ohne antideutsche Propaganda. Und das zeigt nach Jahren sicher auch Wirkung.
Wir erleben immer wieder, dass die Bundesregierung aus dem Lager der polnischen Regierung frontal attackiert wird. Gehört auf einen groben Klotz nicht manchmal auch ein grober Keil, wie Helmut Schmidt es einmal ausdrückte?
Wie sagte es Michelle Obama so schön: „When they go low, we go high.“ Wir brauchen Polen und Polen braucht uns – in der EU, in der NATO und darüber hinaus. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland und Polen wollen in Frieden und Freiheit leben. Das sollten wir nie vergessen. Auch wenn die PiS immer wieder Öl ins Feuer gießt: Wir sollten das nicht tun. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass sich Bundeskanzler Scholz nicht provozieren lässt und besonnen bleibt.
Die nächste Provokation aus Warschau ist schon angekündigt: In Kürze will die PiS Forderungen nach Reparationen an Deutschland konkretisieren, es geht um hunderte Milliarden Euro. Die werden – fast 80 Jahre danach – mit dem Zweiten Weltkrieg gerechtfertigt. Legt die Forderung nach Reparationen nicht im Grunde die Axt an die deutsch-polnischen Beziehungen?
Die PiS weiß, dass es nicht zu Reparationszahlungen kommen wird, egal wer in Deutschland regiert. Vor keinem Gericht der Welt hätte eine Klage auf Reparationen Erfolg. Wir sollten jetzt den Spieß umdrehen: Wir sollten proaktiv politisch mit dem Thema umgehen.
Das heißt…
…wir verstecken uns nicht hinter juristischen Fragen, sondern schlagen selbst einem Zukunftsfonds vor, der in beiden Ländern junge Menschen über die gemeinsame wechselvolle Geschichte aufklärt sowie zivilgesellschaftliche Projekte zur Stärkung des gegenseitigen besseren Verstehens fördert. Dafür sollten wir auch Bundesmittel in die Hand nehmen. Beispielsweise für eine Stiftung. Ein solcher Zukunftsfonds wäre eine kluge Investition in eine bessere Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen.
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