International

PiS-Regierung: Warum die Proteste in Polen schwächer werden

Die Proteste gegen die PiS-Regierung in Polen waren groß. Inzwischen sind sie deutlich kleiner geworden. Das liegt zum einen daran, dass die PiS in einigen Punkten nachgegeben hat, zum anderen an der strukturellen Schwäche der Opposition – und an einer neuen Sozialleistung.
von Joanna Andrychowicz-Skrzeba · 8. Februar 2017
placeholder

Würde man in Polen das Wort des Jahres wählen, wäre das 2016 mit Sicherheit der Begriff „guter Wandel“ (polnisch „dobra zmiana“) gewesen. „Guter Wandel“ steht u.a. für einen grundlegenden Wandel im Denken und im Politikbetrieb sowie für einen Austausch von Eliten, den die seit nunmehr einem Jahr regierende polnische PiS-Regierung forciert. „Guter Wandel“ bedeutet einen umfangreichen Wandel der Werte, der die meisten Lebensbereiche in Polen betrifft – von der Judikative über Medien, die Außenpolitik, bis hin zur Bildung neuer nationaler Mythen. „Guter Wandel“ spaltet und polarisiert die polnische Gesellschaft mehr als irgendetwas zuvor innerhalb der vergangenen Jahre.

Erinnerungen an „Solidarność“ werden wach

Diese Spaltung wird nicht nur bei Gesprächen im Familienkreis deutlich, die öfter als je zuvor von politischen Themen bestimmt werden, sondern auch auf den Straßen polnischer Städte. Und obwohl die Kernklientel der PiS schon früher immer imstande war, sich zu vereinen und für Themen wie etwa die Verteidigung des ungeborenen Lebens zu demonstrieren, zeigten ihre politischen Gegenspieler nur wenig Lust auf die Straße zu gehen.

Während in den vergangenen Jahren in anderen Ländern Europas, darunter in Deutschland, Menschenmassen durch die Straßen zogen und etwa ein Ende der Atomenergie forderten oder sich auf diese Weise gegen den Irak-Krieg 2003 stemmten, demonstrierte in Polen damals lediglich eine Handvoll Menschen. Anders im Jahr 2016, als auch die Polen zeigten, dass sie bereit sind, sich bei wichtigen Angelegenheiten zu vereinen. Seit der „Solidarność“-Bewegung der 1980er Jahre war das nicht mehr in solchem Ausmaß zu sehen gewesen.

PiS-Regierung zieht Gesetze nach Protesten zurück

Aufgrund des erweckten „Kampfgeistes“ der Polen, entschied sich die PiS im vergangenen Jahr, einige angekündigte Gesetzesänderungen wieder zurückzuziehen. Von ihrem bisher eingeschlagenen Weg wurde die PiS vor allem unter dem Druck des „schwarzen Protests“ oder der „Dezember-Okuppation“ des Sejm-Plenarsaals durch die Abgeordneten der Opposition abgebracht.

Organisatoren des „schwarzen Protests“ brachten im Oktober 2016 spontan tausende hauptsächlich weibliche Demonstranten auf die Straßen polnischer Städte. An einem regnerischen Arbeitstag kämpften sie, symbolisch in schwarz gekleidet, gegen das angekündigte totale Abtreibungsverbot. Nach dem aktuell gültigen Recht darf in Polen die Schwangerschaft nur in drei Fällen abgebrochen werden: im Falle einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Mutter, einer Schwangerschaft als Folge einer Vergewaltigung und im Falle einer schweren Behinderung des Kindes. Diese Regelung ist bereits restriktiver als in den meisten anderen europäischen Ländern und doch wollte sie die PiS noch verschärfen. Trotz einer teils geringschätzigen Einstellung einzelner Regierender gegenüber den Demonstranten, hat die Partei ihre Pläne inzwischen aufgegeben – zumindest bis auf weiteres.

Das Parlament wehrt sich

Im Dezember wiederum wollte die PiS Journalisten die Möglichkeit nehmen, sich frei in den Sejmgebäuden zu bewegen, was in Polen seit vielen Jahren erlaubt war. Zusätzlich wollte die PiS den Medien die Übertragung von Tagungen des Sejms untersagen sowie die Anzahl der Akkreditierungen für den Zutritt zum Parlament stark begrenzen. Kritisiert wurde, dass dies eine Verletzung des konstitutionellen Rechts der Bürger zum Zugang zu öffentlichen Informationen sei.

Eine im Dezember gehaltene Sejm-Debatte zu diesem Thema verlief sehr stürmisch und emotional. Zusätzlich Öl ins Feuer goss der Ausschluss eines Abgeordneten der PO (konservativ-liberale Bürgerplattform) von der Sejm-Sitzung und die anschließende – gemäß dem Wortlaut der Opposition – rechtswidrige Annahme des Haushaltsgesetzes.

Im Ergebnis blockierten Abgeordnete der PO und der wirtschaftsliberalen Nowoczesna (Modern) das Rednerpult im Plenarsaal und weigerten sich, den Plenarsaal zu verlassen, solange das Haushaltsgesetz nicht noch einmal zur Abstimmung gebracht wird. Die Besetzung dauerte fast einen Monat. Schließlich gab die PiS zwar ihre Pläne auf, die Regeln der Zusammenarbeit mit den Medien zu ändern, hat aber bereits angekündigt Konsequenzen gegenüber den protestierenden Abgeordneten zu ziehen.

Die wichtigste Oppositionsbewegung steht vor dem Aus

Es war hauptsächlich das Verdienst des „Komitees der Verteidigung der Demokratie“ (KOD),  den durchschnittlichen Polen auf die Straße zu bringen, einen Polen, der bisher politisch oder öffentlich wenig bis gar nicht engagiert war. Das KOD allerdings verliert in letzter Zeit an Schwungkraft. Verantwortlich für die Schwächung der Bewegung ist vor allem die Aufdeckung intransparenter Abrechnungen des KOD-Vorsitzenden Mateusz Kijowski im Januar. Ob die Menschen ihm weiter vertrauen werden, wird sich erst in der nächsten Zeit herausstellen.

Die PiS verkündete bereits vorab das Ende des KODs, nachdem spürbar geworden ist, dass immer weniger Polen das Komitee unterstützen und demonstrieren wollen. Die Probleme des KODs und der gescheiterte Streik der oppositionellen Abgeordneten im Sejm, der die Schwäche der Opposition und ihre geringe Bereitschaft, Kompromisse zu schließen und gemeinsame Strategien zu erarbeiten, offenbarten, stärken derweil die regierende PiS. Bei den Umfragen erfreut sich die Partei einer unverändert starken Unterstützung von etwas 34 Prozent – und das unabhängig von der Begrenzung des Demonstrationsrechtes, der politischen Einflussnahme auf das Verfassungsgericht sowie der geplanten Änderung des Wahlrechts.

Sozialleistungen sind wichtiger als demokratische Rechte

Warum das so ist? Mit Sicherheit ist es u.a. eine Folge der Einführung des im demokratischen Polen wichtigsten Sozialprogramms. Mit dem Programm „500 Plus“ erhalten die Polen das erste Mal finanziell etwas vom Staat, ohne eine konkrete Gegenleistung erbringen zu müssen. Genauer gesagt erhalten sie dafür Geld, dass sie Kinder bekommen.

Dieses Programm, das darauf abzielt, die demografische Situation Polens zu verbessern und die Polen dazu zu bringen, mehr als nur ein Kind zu bekommen (Eltern erhalten rund 125 Euro für das zweite und jedes weitere Kind), betrifft einen Großteil der Gesellschaft, Vertreter aller Gesellschaftsschichten und aller Ausbildungsniveaus. Für viele ist das deutlich wichtiger als eine wenig nachvollziehbare Auseinandersetzung um das Verfassungsgericht oder freie Medien.

Schlagwörter
Autor*in
Joanna Andrychowicz-Skrzeba

ist Germanistin, promovierte Geisteswissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Polen.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare