PartnerInnen trotz Krieg
Vertrauen, Solidarität und Dialog sind die Werte des deutsch-israelisch-palästinensischen Willy Brandt Centers in Jerusalem. Doch wie gelingt die Zusammenarbeit im Angesicht des Krieges in Nahost? Ein Blogbeitrag von Christopher Paesen und Tobias Pietsch.
Es ist wieder Krieg in Israel und Palästina. Seit Beginn der Operation „Fels in der Brandung“, wie die israelische Armee ihr Vorgehen nennt, am 8. Juli wurden 971 Raketen auf Israel geschossen, der Großteil davon aus dem Gazastreifen, einige auch aus dem Libanon. 201 Raketen konnte das israelische Abwehrsystem Iron Dome abfangen, die restlichen trafen größtenteils Städte und Dörfer im Süden Israels, aber auch immer wieder Tel Aviv, Jerusalem und zahlreiche Orte im dichtbesiedelten Kernland. Einen traurigen neuen Weitenrekord stellte eine Rakete am Mittwoch auf, die 130 Kilometer von Gaza entfernt, in ZichronYa’akov einschlug. Im ganzen Land suchen die Menschen mehrmals täglich Schutz in Bunkern und hoffen darauf, dass die Raketen vom Abwehrsystem abgefangen werden. Die 754 Geschosse, die Israel trafen, richteten zwar großen wirtschaftlichen Schaden an, die Zahl der Verletzten ist mit 22 glücklicherweise niedrig. Am Freitagmorgen traf eine Rakete eine Tankstelle in Ashdod, woraufhin dort ein Großfeuer ausbrach.
Schutzräume gibt es für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen nicht. So sind die Menschen den bisher 1474 Luftangriffen meist schutzlos ausgesetzt. Mindestens 168 PalästinenserInnen wurden bereits getötet, darunter 36 Kinder. Für Bunker fehlt im Gazastreifen das Baumaterial, aber vor allem auch der politische Wille. Die Hamas ist eher bereit zivile Schutzschilde zu nutzen und zu opfern, als durch den Bau von Schutzräumen die eigene Verwundbarkeit anzuerkennen. Die Leidtragenden sind die Menschen in Gaza, die kein Interesse an der Gewalteskalation haben und den schmalen Küstenstreifen nicht verlassen können. Seit sieben Jahren ist der Gazastreifen von Israel abgeriegelt und auch Ägypten öffnet seine Landgrenze so gut wie nie.
Der Krieg als Zerreißprobe – auch für die Kooperation am WBC
Seit 1996 besteht die Partnerschaft zwischen Jusos und israelischen und palästinensischen GenossInnen im Rahmen des Willy Brandt Centers. Basierend auf den Werten der Sozialdemokratie, des Internationalismus und der gegenseitigen Solidarität, werden friedenswillige junge Menschen unterstützt, an Gewaltfreiheit, Dialog und Verhandlungen festzuhalten und auch in der eigenen Gesellschaft ein Umdenken anzustoßen. Bei gemeinsamen Seminaren und Austauschprogrammen wird gegenseitiges Verständnis und Vertrauen aufgebaut.
Der jetzige Krieg stellt die ProjektpartnerInnen vor eine innere Zerreißprobe und das Projekt vor große Herausforderungen. Jede Gewalteskalation in Nahost ist ein Rückschlag für das Projekt, ein Moment in dem plötzlich wieder ein Freund-Feind-Schema Wirkung zeigt und bereits überwundene Hürden wieder aufgestellt werden. Angesichts der Gewalteskalation werden gemeinsame Themen in den Hintergrund gestellt und die Forderung nach einem Ende der Gewalt gewinnt oberste Priorität. Der Druck aus der eigenen Gesellschaft ist groß, da erwartet wird klar Stellung für die eigene Seite zu beziehen.
Nimrod Barnea, der IUSY-Vizepräsident für die seit 2007 in der WBC-Kooperation involvierte israelische Meretz-Jugend ist, spürt diesen Druck auch. Dennoch ist die Meretz-Jugend, wie auch die Mutterpartei bislang die einzige parlamentarische Opposition gegen den Krieg. „Wir sprechen uns laut und deutlich gegen Krieg und Tod aus – in den Medien, auf der Straße und im Parlament“, sagt Nimrod. „Wir haben uns immer für die Sache der PalästinenserInnen eingesetzt und werden das auch jetzt weiter tun, trotz der schwierigen Zeiten in denen Israel von der Hamas und dem Islamischen Jihad attackiert wird“. Dieses Engagement stößt in Teilen der israelischen Gesellschaft jedoch auf massiven Widerstand, wie zahlreiche Mitglieder von Meretz auf einer Demonstration gegen den Krieg in Tel Aviv am Samstagabend schmerzvoll erfahren mussten. Die DemonstrantInnen sind von rechten Israelis gejagt und angegriffen worden, was zu zahlreichen Verletzungen geführt hat. „Die Medien stellen uns als extreme Linke dar, die den Terror unterstützen. Dabei wollen wir nur darauf hinweisen, dass alle Menschenleben gleich viel wert sind“, erklärt Nimrod die schwierige Lage.
Fatah unter Druck
Nicht nur Palästinenserpräsident Abbas steht unter massivem Druck, sondern auch seine Fatah-Partei. Beiden werfen PalästinenserInnen vor, nicht genügend gegen die Angriffe auf Gaza zu unternehmen und zu lange wort- und tatenlos zugeschaut zu haben. Viele vermissen eine erkennbare Strategie der Fatah, ein tragfähiges Abkommen mit der israelischen Regierung auszuhandeln. Das erneute Scheitern der jüngsten Friedensgespräche bedeutet für Abbas eine große Herausforderung: Zum einen glaubt er weiterhin an eine Zwei-Staaten-Lösung auf Grundlage eines ausgehandelten Abkommens, zum anderen zweifeln immer mehr PalästinenserInnen am Sinn von Gesprächen, solange Ziele und Verhandlungsparameter nicht klar sind. Solange während Verhandlungen weiter Siedlungen gebaut werden, gibt es massive Zweifel an der Ernsthaftigkeit der VerhandlungspartnerInnen. Ahmad Karaeen, der für die Fatah-Jugend im politischen Team des Willy Brandt Centers arbeitet, fordert im Namen seiner Bewegung die internationale Gemeinschaft zum Einschreiten auf: „Wir erwarten Schutz für die PalästinenserInnen, die den Angriffen der israelischen Armee ausgesetzt sind und ein Ende der Gewalt“. Viele Mitglieder der Fatah-Jugend hoffen, dass die Popularität ihres Präsidenten wieder steigen wird, sollte es ihm gelingen, dass Palästina dem Internationalen Strafgerichtshof beitritt. Dadurch hätte Abbas ein Druckmittel, um in Verhandlungen mit Israel endlich konkrete Ergebnisse erzielen zu können, auf welche die palästinensische Gesellschaft seit seinem Amtsantritt wartet.
Blick in die Zukunft: die Kooperation braucht Mut.
Auch dieser Gaza-Krieg, der jetzt schon massiver ist als der letzte im Jahr 2012, wird zu Ende gehen. Eine Lösung für Gaza oder gar den gesamten Konflikt, wird auch diese Militäroperation nicht bringen. Dafür bedarf es politischer Verhandlungen und Abkommen. Es gilt aufzuarbeiten, was durch die Gewalteskalation zerstört wurde und worunter die Kooperation gelitten hat. Für uns ist klar: Wir wollen unsere Partnerschaft intensivieren und diejenigen Kräfte stärken, die sich für eine politische Lösung jenseits der Gewalt einsetzen. Wir wollen Wege entwickeln, auch unter großem gesellschaftlichem Druck alternative Lösungen des Konfliktes zu finden, die auf Partnerschaft und nicht auf Spaltung beruhen.Nimrod ist der Meinung, dass diese Zeiten für progressive und friedenswillige Kräfte in der Region und der Partnerschaft besonders herausfordernd sind. „Wir müssen einen Weg finden, unsere Solidarität auszudrücken und zu kooperieren. Solange wir in unseren nationalen Komfortzonen verbleiben, werden wir nicht vorwärts kommen“, so der IUSY-Vize.
Auch Nimala Kharoufe von der Fatah-Jugend wünscht sich ein rasches Ende der Eskalation: „Gewalt ist keine Option um diesen Konflikt zu lösen und wird niemals Frieden zwischen uns bringen. Gewalt erzeugt immer neue Gewalt, mehr Blut, mehr Hass und mehr Rachegefühle“.
Wir wollen auch weiterhin unsere PartnerInnen auf ihrem Weg der Gewaltfreiheit und des gegenseitigen Verständnisses unterstützen. Dabei ist es wichtig, dass sich aus dem Dialog auch konkrete Ergebnisse und Aktionen ergeben, um den Glauben an eine Verbesserung der Situation und letztlich die Lösung des Konfliktes nicht zu verlieren.
Um das Willy Brandt Center zu unterstützen können Sie Fördermitglied werden oder spenden an Förderverein Willy Brandt Zentrum e.V., IBAN: DE21100100100570304108, Postbank Berlin
Christopher Paesen ist Friedensfachkraft des forumZFD und Projektkoordinator am Willy Brandt Center Jerusalem.
Tobias Pietsch ist Mitglied des Vorstandes des Fördervereins des Willy Brandt Centers und Experte in der Bundeskommission Internationales der Jusos.