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Parlamentswahl in der Slowakei: Das Ende einer sozialdemokratischen Ära

Bei den Nationalratswahlen in der Slowakei hat die sozialpopulistische Smer-SD zehn Prozent verloren und kam nur noch auf 18 Prozent der Stimmen. Eine konservative Protestpartei hat davon profitiert.
von Anne Seyfferth · 3. März 2020
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„Die Herrschaft des Bösen ist beendet“ – für den slowakischen Ex-Präsidenten Andrej Kiska war der Ausgang der Nationalratswahlen damit kurz und bündig zusammengefasst. Kiska trat mit seiner neu gegründeten konservativ-liberalen Partei Za ľudí (Für die Leute) an. Mit knapp sechs Prozent wird sie in das Parlament einziehen. Mit der Herrschaft des Bösen ist die seit 2006 mit nur einer kurzen Unterbrechung regierende sozialdemokratische Partei Smer-SD im Allgemeinen und ihr Parteigründer, Vorsitzender und jahrelanger Ministerpräsident Robert Fico im Besonderen gemeint. 

Eine „anständige Slowakei“

Mit einem Verlust von zehn Prozentpunkten hat die sozialpopulistische Smer-SD nur gut 18 Prozent der Stimmen holen können und damit eine deutliche Niederlage erlitten. Bereits bei den vergangenen Parlamentswahlen 2016 hatte sie ihre absolute Mehrheit eingebüßt. Damals, inmitten der Debatten über die Verteilung der großen Flüchtlingsströme, hatte Fico versucht, mit einer massiven migrationsfeindlichen Rhetorik zu punkten. Er schürte erfolgreich Ängste – und verhalf damit der rechtsextremen Volkspartei Unsere Slowakei ĽS-NS zu ihrem erstmaligen Einzug in das 150-köpfige Parlament. 

Dieses Mal stand Fico nur mehr auf dem zweiten Listenplatz seiner Partei. Er hatte bereits vor knapp zwei Jahren sein Amt als Ministerpräsident widerwillig abgegeben. Druck zum Rücktritt entfalteten insbesondere die Massendemonstrationen, die nach der Ermordung des Investigativ-Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten wochenlang stattfanden. Angesichts der von Kuciak aufgedeckten Mafiamethoden forderten die Demonstranten eine „anständige Slowakei“.

Ex-Ministerpräsident im Fokus der Ermittlungen

Wie massiv die kriminellen Verquickungen von Politik, Justiz und skrupellosen Geschäftsleuten in der Slowakei sind, machten die in den vergangenen Wochen parallel zum Wahlkampf laufenden Ermittlungen in diesem Mordprozess deutlich. Insbesondere Fico steht dabei in einem sehr unguten Rampenlicht. Dass er keine Konsequenzen zog, sondern an seinem Amt als Vorsitzender der Partei festhielt und sich zusätzlich zum Fraktionsvorsitzenden hat wählen lassen, war für den Spitzenkandidaten, Ministerpräsident Peter Pellegrini, eine schwere Bürde. 

Selbst für viele progressiven Kräfte ist diese sozialdemokratische Partei daher nur noch schwer wählbar. Sie berührte diese Niederlage daher auch weniger als zwei überraschende Ergebnisse: Sieger der Wahlen ist mit unerwartet großem Abstand die konservative Protestpartei OĽaNO (Gewöhnliche Leute und unabhängige Personen). Ihr Vorsitzender Igor Matovič, ein Medienunternehmer, gründete die Partei 2011 und führt sie bis heute als eine Ein-Mann-Partei. 

Protestpartei sammelt Stimmen aus allen Lagern

Matovič hatte seinen Wahlkampf auf eine Anti-Fico und Anti-Korruptionskampagne konzentriert, starke Präsenz gezeigt und medienwirksame Aktionen initiiert. So fuhr er beispielsweise persönlich nach Cannes, um am Haus des ehemaligen sozialdemokratischen Finanzministers das Schild „Eigentum der slowakischen Republik“ anzubringen. Matovič ist es gelungen, Stimmen aus allen Lagern einzusammeln und sein Ergebnis zu verdoppeln – er erreichte 25 Prozent. Dabei hatten ihn alle Prognosen maximal auf dem zweiten Platz gesehen – hinter den Sozialdemokrat*innen.

Dem konservativen Matovič gelang, was die liberalen Kräfte nicht schafften: die deutliche Wechselstimmung der Wähler*innen für sich zu nutzen. Der verfehlte Parlamentseinzug des Bündnisses der beiden relativ neuen außerparlamentarischen Oppositionsparteien Progressive Slowakei (linksliberal) und Spolu (bürgerlich-liberal) war die zweite große Überraschung bei den Wahlen. Dieses Bündnis ging noch aus den Europawahlen 2019 unerwartet mit gut 20 Prozent als Sieger hervor. Es galt daher als sicher, dass es mit einem zweistelligen Ergebnis abschneiden würde. Es kam anders. Am Ende wurde gar der Einzug ins Parlament verfehlt. Für Allianzen gilt eine Sperrklausel in Höhe von sieben statt der üblichen fünf Prozent.

Wertkonservativer gesellschaftlicher Mainstream 

Das Bündnis war personell nicht optimal aufgestellt und hatte das Anti-Korruptionsthema weniger deutlich in den Vordergrund gestellt als andere Parteien. Das offenbart gleichzeitig, dass der Mainstream der slowakischen Zivilgesellschaft trotz aller Protestmärsche wertkonservativ geblieben ist und mit liberalen Werten nicht viel anfangen kann. Zu groß ist die Angst vor der Aufnahme von Migrant*innen, der Vorbehalt gegen Minderheiten, gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, Umwelt- und Genderpolitik. Die Wahlschlappe dieses Bündnisses, hinter dem auch die im letzten Jahr gewählte liberale Staatspräsidentin und ehemalige Umweltaktivistin Zuzana Caputova steht, ist nicht nur eine bittere Niederlage für alle linksliberalen Slowak*innen. Sie ist auch eine Enttäuschung für die liberalen Kräfte in den anderen Visegrád-Staaten Tschechien, Ungarn und Polen.

Für Erleichterung sorgte dagegen das Ergebnis der rechtsextremen Volkspartei Unsere Slowakei ĽS-NS. Sie verharrte bei acht Prozent. Dabei hatte sie seit ihrem Einzug in das Parlament vor vier Jahren als Protestpartei am äußersten rechten Rand sukzessiv an Zustimmung gewonnen. Die rechtsnational eingestellten Wähler*innen haben – neben OĽaNO – offensichtlich lieber die rechtspopulistische Sme Rodina (Wir sind eine Familie) des Unternehmers Boris Kollár gewählt, die mit gut acht Prozent überraschend auf dem dritten Platz gelandet ist. Sie sticht durch eine betonte Ausländerfeindlichkeit hervor, die sie in der Wahlkampfphase um große sozialpolitische Versprechungen ergänzte. Damit ging sie auf Stimmenfang auch im sozialdemokratischen Lager.

Sozialdemokrat*innen in der Opposition

Die Wähler*innen haben also für den Wechsel gestimmt. Die bisherige Opposition wird die Regierung stellen. Smer-SD hat bereits angekündigt, keine Regierungsbeteiligung anzustreben. Rein rechnerisch benötigt Matovič nur zwei der in Frage kommenden drei Oppositionsparteien (Sme-Rodina sowie die wirtschaftsliberale Partei SaS, Freiheit und Solidarität) für eine komfortable Mehrheit. Aber auch mit dem ehemaligen Staatspräsidenten Kiska soll verhandelt werden. Dass ein solches Bündnis den Filz der korrupten Machenschaften auflösen kann, müsste es zügig beweisen. Diese Kräfte eint ein konservatives und pro-europäisches Weltbild. 

Mit seinem starken Ergebnis wird Matovič die neue Mitte-rechts-Koalition wenig kompromissbereit führen. Er gilt als autoritär sowie unberechenbar und ist ideologisch schwer zu fassen. Drei Hauptziele hat er für seine neue Regierung angekündigt: Null-Toleranz bei Korruption, stärkere Einbeziehung des Volkes beispielsweise durch Volksbefragungen à la Victor Orban und eine Politik für alle Menschen und nicht nur die oberen Zehntausend. Ob es der neuen Regierung gelingen wird, das Vertrauen der slowakischen Bürger*innen in die Demokratie zurück zu gewinnen, bleibt abzuwarten.

Die Sozialdemokrat*innen werden in der Opposition hoffentlich nicht nur Wunden lecken. Nur mit einer personellen Änderung, insbesondere dem kompletten Rückzug Robert Ficos, hat die Partei die Chance, sich grundlegend zu reformieren, um wieder das Label „sozialdemokratisch“ zu verdienen.

Dieser Artikel erschien zunächst im ipg-Journal.

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Anne Seyfferth

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Prag. Zuvor leitete sie das Referat Westeuropa und Nordamerika (WENA) der FES in Berlin.

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