Parlamentswahl in den Niederlanden: „Wilders ist wie Trump“
Dirk Bleicker
Die Niederlande galten lange – gerade auch in Deutschland – als ein sehr fortschrittliches und modernes Land. Nun droht der Rechtspopulist Wilders mit seiner PVV stärkste oder zweitstärkste Kraft bei der Parlamentswahl am 15. März zu werden. Er will raus aus der EU, raus aus dem Euro, ist islamophob und will die Niederlande gegen Zuwanderung abschotten. Was ist passiert?
Das ist keine plötzliche Veränderung, sondern ein Prozess, der schon vor einer ganzen Weile begann. 2002 erhielt erstmals ein Populist, Pim Fortuyn, sehr viele Stimmen. Das war schon damals ein Signal von vielen Menschen, dass sie unzufrieden mit Politik und Gesellschaft in den Niederlanden waren. Diese Unzufriedenheit hält an, und dafür sind verschiedene Faktoren verantwortlich.
Welche?
Ganz grundsätzlich sind es die großen Sorgen, die sich die Menschen um ihre Zukunft und die ihrer Kinder machen. Auch wenn es den Niederlanden nach der ökonomischen Krise 2008 wirtschaftlich besser geht und die Regierung unter Beteiligung der Sozialdemokraten die Arbeitslosigkeit wieder gesenkt hat, bleibt diese Unsicherheit. Viele Menschen leben in der Überzeugung, dass ihre Eltern ihnen ein besseres Leben ermöglicht haben, als sie es hatten. Nun aber, wo diese Menschen selbst Eltern sind, fürchten sie, dass es ihnen und ihren Kindern schlechter gehen wird, dass zum Beispiel ihre Rente zum Leben nicht reichen wird. Es ist die grundsätzliche Sorge: Was wird aus dem Sozialstaat? Diese Unsicherheit wird durch die Flüchtlingszuwanderung nach Europa und durch islamistische Anschläge verstärkt. Rechtspopulisten wie Wilders nutzen diese Ängste schamlos aus.
Wilders propagiert arbeits- und wirtschaftspolitisch ein eher linkes Programm. Warum wollen die Wählerinnen und Wähler nicht das Original, sondern die Kopie wählen?
Wilders ist wie Trump, im Grunde wie alle Rechtspopulisten: Sie spielen mit den Ängsten der Menschen, sei es bei den Fragen der Sicherheit, sei es im sozialen Bereich. Wilders weiß, dass den Menschen der Sozialstaat wichtig ist. In den vergangenen 30 Jahren sind hier eine Reihe von Sicherheiten verschwunden. Das ist das Ergebnis eines neoliberalen Klimas in vielen Bereichen. Jetzt macht Wilders Versprechen, die er aber nicht wird halten können. Und wenn Wilders davon redet, die Grenzen schließen zu wollen und aus der EU auszutreten, verschweigt er, dass die Niederlande stark vom Handel abhängen. Damit verdienen die Niederlande Geld. Schließlich hat Rotterdam den drittgrößten Hafen der Welt! Wie sollen die Niederlande als Handelnation also Jobs machen, wenn die Niederlande aus der EU austreten?
Den Sozialdemokraten von der PvdA droht laut Umfragen ein desaströses Ergebnis nach 25 Prozent bei der Wahl 2012. Warum werden sie von den Wählern so abgestraft? Wilders kann doch nicht der einzige Grund dafür sein.
Nein, sicher nicht. Vielmehr liegen die Gründe darin, dass wir Juniorpartner in einer Koalition mit der konservativ-liberalen VVD sind. Sozialdemokraten aber werden für vieles verantwortlich gemacht, was die Menschen an dieser Regierung schlecht finden. In gewisser Weise ist das auch nachvollziehbar, denn die PvdA ist in einer Koalition mit – sagen wir – ihrem natürlichen ideologischen Gegner. Sozialdemokraten hatten damals vor der Wahl damit geworben, die Niederlande moderner zu machen. Dann ging die PvdA in diese Koalition und musste auch Entscheidungen mittragen, die den Sozialstaat zwar stabiler gemacht und die Arbeitslosigkeit reduziert haben, das waren aber auch Entscheidungen, die nicht von allen geschätzt wurden und manchmal auch die Glaubwürdigkeit bei den Wählerinnen und Wähler beschädigt haben. Mit diesem Problem sind wir jedoch nicht allein, das geht vielen anderen auch so, etwa der irischen Labour Party.
Wie können die niederländischen Sozialdemokraten wieder stark werden?
Manche sind der Meinung, dass die Sozialdemokraten angesichts der mittlerweile stark zersplitterten Parteienlandschaft in den Niederlanden enger mit anderen progressiven Parteien zusammenarbeiten sollten. Das ist in der Tat eine Überlegung wert, denn wir sind nicht mehr in einer Zeit mit einigen wenigen Parteien, die für die Wählerinnen und Wähler ein klares Bild abgeben. Es macht also Sinn, enger mit den anderen progressiven Parteien zusammenzuarbeiten, um stärker progressive politische Alternativen zu haben.
Was ist Ihre Prognose für die Regierungsbildung?
Ich vermute, es wird eine Koalition aus mehreren Parteien geben, aber nicht mit Wilders. Er mag stark erscheinen, aber er wird wahrscheinlich keine Regierung bilden können. Denn niemand sagt, dass er mit ihm regieren will. Außerdem sind die Wahlen in den Niederlanden die unsichersten in Europa, was Umfragen und Wählerverhalten angeht. Die Wähler bei uns sind immer für Überraschungen gut – kurz vorher kann es ganz anders aussehen, als die Wahl schließlich ausgehen wird.
Hat die gewachsene Skepsis der Niederländer gegenüber Europa auch etwas mit der Dominanz von Angela Merkel in der EU zu tun, und ließe sich diese ablehnende Haltung mit einem sozialdemokratischen Kanzler Martin Schulz wieder ändern?
Natürlich wäre das mit Martin Schulz anders. Die sozial orientierten Menschen sind ja nicht grundsätzlich gegen die Europäische Union, aber sie fordern ein sozialeres Europa. Und dafür kann man durchaus Frau Merkel und die Konservativen in Europa verantwortlich machen, weil sie in den vergangenen Jahren die Bürgerinnen und Bürger nicht gut genug geschützt und den Finanzsektor nicht stärker beaufsichtigt und vergesellschaftet haben. Ich bin davon überzeugt, dass die Situation mit Martin Schulz besser werden kann. Er könnte als Bundeskanzler einen sehr positiven Einfluss sowohl auf die Europäische Union als Ganzes als auch auf die Niederlande haben. Ich kenne Martin Schulz seit 14 Jahren und bin davon überzeugt, dass er dafür sorgen wird, dass die Gesellschaft in Deutschland und in Europa wieder sozialer wird, dass Menschen sich wieder sicherer fühlen und dass das soziale Miteinander wieder wachsen kann. Wir sind eure Nachbarn und unsere größte Migrantengruppe sind die Deutschen. Was in Deutschland passiert, spielt auch für die Niederlande eine große Rolle.
ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.