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Paradise Papers: Warum die Chefs der Mega-Konzerne die falschen Helden sind

Die „Paradise Papers“ enthüllen Steuervermeidung in Milliardenhöhe: zwielichtige Geschäfte, die jedoch oft völlig legal sind. Das zeigt, wie wichtig und richtig Kapitalismuskritik bleibt. Und dass sich viele in der Politik die falschen Freunde suchen. Ein Kommentar.
von Paul Starzmann · 7. November 2017
Apple Store Manhattan
Apple Store Manhattan
Was waren sie doch für wunderbare Helden, die großen Idole der 60er und 70er Jahre: zum Beispiel Jimi Hendrix, Gitarrengott und Provokateur, gestorben im Suff in einem Londoner Hotel. Oder Che Guevara, Sex-Symbol und Rächer der Armen, getötet von einer Gewehrkugel im Dschungel von Bolivien. Ihr Charisma, der rebellische Geist und ihr früher Tod machte aus lebenden Legenden unsterbliche Helden.

Unternehmer statt Rockstars

Heute sieht das ganz anders aus: An vielen Stellen haben blutleere Unternehmensgründer die Rebellen und Rockstars von einst als Idole abgelöst. So gilt der 2011 verstorbene Apple-Chef Steve Jobs bei vielen jungen Leuten heute als Held. Genauso Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Sie werden nicht verehrt, weil sie die Welt verändern wollen oder mit ihrer Musik die Herzen der Menschen berühren. Sondern: weil sie unglaublich reich sind.

Wie solche Eigentümer milliardenschwerer Unternehmen mit ihrem Vermögen umgehen, das zeigen nun die Enthüllungen der „Paradise Papers“: Die Superreichen lassen nichts unversucht, um sich ihrer sozialen Verantwortung zu entziehen, heuern Spezialisten an, die riesige Mengen Geld am Fiskus vorbeischmuggeln. Und sie kommen damit durch: Rund eine Million Euro pro Minute fließen in die sogenannten Steuerparadiese. Die Finanzämter gehen leer aus, die Millionäre lachen sich ins Fäustchen. Von Pflichtbewusstsein fehlt bei vielen jede Spur, für sie zählt alleine der Profit. Sollte noch irgendjemand nach einem Paradebeispiel für die Auswüchse des Kapitalismus suchen, die „Paradise Papers“ liefern es.

Profitmaximierung statt Demokratie

Dabei ist es kein Zufall, dass jetzt ausgerechnet die Firma Apple im Fokus der „Paradise“-Affäre steht. Schon 2013 kam heraus, dass das Milliarden-Unternehmen offenbar nach immer neuen Wegen sucht, um seine Steuerlast zu minimieren. Jetzt soll die Firma sogar gezielt nach Steueroasen gesucht haben, in denen es keine Demokratie gibt. Damit nicht irgendeine lästige Oppositionspartei die Profitmaximierung beeinträchtigt.

Dass für Firmen wie Apple oder Amazon der Gewinn an erster Stelle steht, also noch vor den Werten der Demokratie kommt, ist natürlich weder überraschend noch neu. Nur leider machen sich das viel zu wenige Menschen bewusst. Sie halten die großen Wirtschaftsunternehmen immer noch für die freundlichen Organisationen, die sie aus der Fernsehwerbung kennen. Doch nicht nur die Konsumenten, deren Geld die Rekordgewinne der Firmen erst ermöglichen, stehen den Unternehmen oft viel zu unkritisch gegenüber.

Geschäftemacher statt Helden

Auch viele Politiker scheinen nicht zu realisieren, mit wem genau sie an einem Tisch sitzen, wenn sie sich mit Unternehmensgründern, Großindustriellen und deren Lobbyisten treffen. Wie lässt sich anders erklären, dass die „Paradise Papers“ so viele Steuerschlupflöcher aufzeigen, die der Gesetzgeber bis heute nicht gestopft hat? Bei den derzeitigen Sondierungsgesprächen zwischen Union, FDP und Grünen zum Beispiel spielt das Thema Steuerflucht offenbar gar keine Rolle. Ja, FDP-Mann Wolfgang Kubicki verteidigt die legalen Wege der Steuervermeidung sogar noch.

Wenn das so weitergeht, wird nach den „Panama Papers“ von 2016 und den aktuellen „Paradise Papers“ bald die nächste Enthüllung kommen – und die Superreichen werden wieder nur mit den Achseln zucken. Deshalb ist es jetzt dringend nötig, Steuervermeidung ein für alle Mal zu ächten. Politisch, indem endlich auf nationaler und internationaler Ebene beinharte Gesetze geschaffen werden. Aber auch gesellschaftlich muss sich etwas bewegen: Die großen Unternehmen wie Amazon oder Facebook dürfen nicht weiter das Gefühl haben, in Sachen Steuern, Transparenz oder Arbeitsrechten tun und lassen zu können, was sie wollen. Sie gehören unter gesellschaftliche Beobachtung und müssen ihren Helden-Status als vermeintliche Dienstleister oder Vertreter einer angeblichen „Kreativ-Branche“ endlich verlieren. Stattdessen sollten sie schlicht als als das betrachten werden, was sie in Wirklichkeit sind – Geschäftemacher.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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