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OSZE zum Krieg in der Ostukraine: Es ist schlimmer geworden

Mitten im Kriegsgebiet in der Ostukraine sind die Beobachter der OSZE unterwegs. Der Vize-Chef der Beobachtermission, Alexander Hug, beschreibt, wie sie gezielt in ihrer Arbeit gehindert werden und warum sie keine Schlussfolgerungen aus ihren Beobachtungen ziehen dürfen.
von Fabian Schweyher · 23. August 2017
OSZE Alexander Hug
OSZE Alexander Hug

Mit dem Minsker Waffenstillstandsabkommen von 2015 sollte der Krieg in der Ostukraine beendet werden. Seitdem überwacht dort die OSZE die Einhaltung der Vereinbarungen. Trotzdem kommt es täglich zu Gefechten zwischen Regierungstruppen und Separatisten – von der OSZE schlicht „Seiten“ genannt. Wie bewerten Sie die gegenwärtige Lage?

Die Situation an der Kontaktlinie (Anmerkung der Redaktion: Frontlinie) ist aus zwei Gründen sehr unberechenbar. Die Seiten haben immer noch schwere Waffen in Gebieten, wo sie nicht sein sollten. Sie halten sie in Einsatzdistanz und benutzen sie auch. Das zweite Problem ist der geringe Abstand zwischen den Seiten, weswegen die Kämpfe immer wieder aufflammen. Zuletzt haben wir zwischen 300 und 1500 Waffenstillstandsverletzungen täglich gezählt. Im Einsatz sind dabei auch schwere Waffen wie Panzer, Mörser, Artillerie und Mehrfachraketenwerfer.

Hat sich die Situation im Vergleich zum Vorjahr verbessert oder verschlechtert?

Die Waffenstillstandsverletzungen nehmen ab und dann wieder zu. Jedoch haben wir in diesem Jahr vom 1. Januar bis 21. August 357 zivile Opfer gezählt – 66 Tote und 291 Verletzte. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist das ein Anstieg um 31 Prozent. Daran gemessen muss ich sagen: Es ist schlimmer geworden.

Angesichts der fortwährenden Kämpfe und der Zahl der toten Zivilisten: Lässt sich überhaupt von einem Fortschritt sprechen?  

Im Vergleich zu 2014 oder Anfang 2015 (Anmerkung: zu Beginn des Krieges kam es zu schweren Kämpfen) hat sich die Situation dahingehend verbessert, dass einige der schweren Waffen abgezogen wurden. Auch wurden vereinzelt Minen geräumt und von einigen Orten Truppen abgezogen. Die Minsker Vereinbarungen wurden trotzdem nur teilweise umgesetzt. Es gibt noch viel zu tun. Ohne diese Vereinbarungen würde die Situation wahrscheinlich schlimmer aussehen. Es liegt nicht an den Vereinbarungen, dass es keine Fortschritte gibt. Es liegt allein an den Seiten, die keinen Willen an den Tag legen, die beschlossenen Maßnahmen umzusetzen.

Die Separatistengebiete liegen an der Grenze zu Russland. Die Ukraine wirft Moskau vor, die Separatisten mit Ausrüstung zu versorgen und Truppen zu schicken. In den Berichten der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine ist zu lesen, dass die Beobachter häufig keinen Zugang zu dieser Grenze erhalten. Ist das immer noch so?

Bislang ermöglicht uns die Nichtregierungsseite nicht, in der Nähe der Grenze Patrouillenbasen einzurichten. Deswegen müssen wir jedes Mal einen sehr weiten Weg zurücklegen. Während der Fahrt passieren wir diverse Kontrollpunkte. Wenn wir dann an der Grenze ankommen, wissen die bewaffneten Männer bereits Bescheid und alles ist so arrangiert, dass man nicht mehr von unabhängiger Beobachtung sprechen kann. Es passiert ebenso immer wieder, dass wir an den Kontrollpunkten zurückgeschickt werden, auch unter Drohungen.

Sie bekommen doch aber sicher einen Eindruck davon, ob das Kriegsgerät der Separatisten aus Russland stammt oder nicht.

Wir beschreiben im Detail, welche Waffentypen wir in den Gebieten sehen, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. Unser Mandat besteht darin, zu berichten, was wir sehen und hören. Unsere Aufgabe ist es nicht, Schlussfolgerungen zu ziehen. Das ist die Aufgabe der Leser unserer Berichte, die wir täglich in drei Sprachen veröffentlichen. Würden wir sehen, woher die Waffen kommen, würden wir das sofort berichten.

Abgesehen von diesen Einschränkungen an der Grenze: Inwiefern behindern Regierungstruppen und Separatisten die Arbeit der OSZE?

Beide Seiten behandeln uns bei den indirekten Einschränkungen unserer Bewegungsfreiheit in etwa gleich. Damit gemeint sind beispielsweise verminte Straßen und Wege, die nicht geräumt werden und die unsere Bewegungsfreiheit einschränken. Die Nichtregierungsseite verbietet mitunter auch Schul- und Krankenhauspersonal, mit uns zu sprechen. Wir werden genauso mit angedrohter Waffengewalt oder anderen Drohungen an der Weiterfahrt gehindert. Diese direkten Einschränkungen unserer Bewegungsfreiheit gehen mit großer Mehrheit von der Nichtregierungsseite aus. Auch werden wir daran gehindert, unsere Überwachungsdronen oder Kameras zu benutzen. Alle diese Einschränkungen haben nur ein Ziel: Die Seiten wollen verhindern, dass wir die Realität beobachten und der Weltöffentlichkeit mitteilen.

Wie optimistisch sind Sie für die Zukunft?

Wir wissen, dass die Versprechen sofort umgesetzt und die Kämpfe sofort eingestellt werden können. Wir haben gesehen, dass das innerhalb weniger Stunden möglich ist. Es müssen nur die Befehle ausgegeben werden. Deshalb glaube ich daran, dass eine Normalisierung möglich ist. Es liegt am Willen derjenigen, die die Minsker Vereinbarungen unterschrieben haben.

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