International

„Ost oder West – das ist Nonsens“

von Jörg Hafkemeyer · 21. März 2014

Die EU hat neue Sanktionen gegen Russland beschlossen. Doch die Krim scheint für die Ukraine verloren. Viele Menschen in der Ukraine haben Angst vor einem Krieg. 

Dmytro Ostroushko ist ein nachdenklicher, junger Sozialwissenschaftler vom unabhängigen Gorshenin Institut in Kiew, der dem vorwärts sagte: „So wie es jetzt steht, sehe ich nicht, wie wir die Krim zurück bringen sollten. Wir in der Ukraine haben uns auch schon lange vor der Krise nicht um sie gekümmert. Dort gab es immer ein starkes Gefühl gegen die Ukraine und für Russland.“ Und jetzt ist die Krise da. Eine politische und eine wirtschaftliche. Die Ukraine ist ein Land, das in den vergangenen 75 Jahren dreimal gequält, ausgeplündert ruiniert wurde.

Die Deutsche Wehrmacht und die Waffen-SS zerstörten Dörfer und Städte, erschossen und erhängten ihre Bewohner. Hinter der auf Sewastopol zu marschierenden Wehrmacht rollten mobile Gaswagen. In ihnen wurde Juden, Widerstandskämpfer und alle, die die Deutschen als Verdächtige empfanden, ermordet. Als der große US-Autor John Steinbeck und der Fotograf Robert Capa 1947 ihre russische Reise unternehmen, kommen sie nach Kiew. Steinbeck notiert unter anderem: „Jedes öffentliche Gebäude, jede Bibliothek, jedes Theater, selbst das Zirkusgebäude ist zerstört, nicht durch Kanonenfeuer, nicht durch Kampfhandlungen sondern durch Feuer und Dynamit ... Dies war kein Kampf, dies war die wahnsinnige Zerstörung jeder kulturellen Einrichtung dieser Stadt und fast aller schönen Gebäude, die im Laufe von tausend Jahren errichtet worden waren. Hier tat die deutsche Kultur ihr Werk.“

Cliquen teilten die Macht auf

Kiew wird unter Stalin und unter Chruschtschow wieder aufgebaut. Das Land ausgeplündert, die Einwohner ausgebeutet oder umgesiedelt. Schließlich: Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine haben mehr und mehr Cliquen die Macht an sich gebracht, die sich gegenseitig politisch wie ökonomisch dabei absicherten. „Bei uns gibt es sehr viel Misstrauen gegenüber der Politik,“ sagt Oleksandra Nechyporenko. Sie ist Mitte 30 und arbeitet in Kiew im Ministerium für Wirtschaftliche Entwicklung und Handel. Während eines Gesprächs in Berlin fragt sie: „Wie soll man sich auf die neuen Gesichter in der Regierung verlassen nach unseren Erfahrungen? Also haben wir die, die wir haben und manche sind vielleicht gut.“

Weiter sagt sie: „Wir wollen gute Beziehungen nach Osten und nach Westen. Mit einem starken, föderativen System.“  Dmytro Ostroushko setzt hinzu: „Seit 20 Jahren sollen wir uns aber entscheiden: Ost oder West. Das ist Nonsens.“ Beide schauen sehr besorgt drein: Natürlich wachsen die patriotischen Gefühle. Die Leute schließen sich enger zusammen. Gerade jetzt, nach den Ereignissen auf der Krim, gibt Dmytro Ostroushko zu bedenken. „Wir haben große Probleme auf allen Ebenen. Zum Beispiel sind der Osten und der Süden in unserer Regierung überhaupt nicht repräsentiert.“ Vor allem aber habe man keine Zeit und kein Geld. Wenige hätten Geduld und viele hätten Angst vor einem Krieg.

Steinmeier fordert ein Zeichen von Russland

Die Sorge gibt es in Brüssel und Berlin auch. Frank Walter Steinmeier ermahnte aber auch die Regierung in Kiew, eine Politik für alle Landesteile zu machen. Für den deutschen Außenminister handelt es sich um „die schwerste Krise seit dem Ende des Kalten Kriegs“. Russland müsse ein sichtbares Zeichen setzen, dass „wenigstens keine weitere Zuspitzung droht“, dass es „jenseits der Krim keine weiteren territorialen Interessen verfolgt“. Sollte das „Krim-Modell“ ausgeweitet werden, so der Außenminister, müsse man zu „einschneidenden Maßnahmen“ auch bei eigenen wirtschaftlichen Nachteilen greifen.

Nach dem EU-Gipfel in Brüssel, den Beschlüssen der US-Regierung und den Reaktionen in Moskau ist die Lage nicht entkrampft. „Ich denke, das ist eine Beleidigung der Bürger auf der Krim,“ konterte Außenminister Sergej Lawrow den Vorwurf, die Krim annektiert zu haben: „Sie haben ihre unveräußerlichen Rechte auf Selbstbestimmung in vollem Umfang genutzt.“ Es sieht sehr nach einer ökonomischen wie auch politischen Blockbildung aus, die es nicht leichter macht, friedliche Lösungen zu finden.

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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