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Osman Kavala in Haft: ein Leuchtturm der türkischen Zivilgesellschaft

Seit vier Jahren sitzt der türkische Unternehmer und Kulturmäzen Osman Kavala in Istanbul in Haft. Zehn westliche Botschafter fordern seine Freilassung. Erdogan ist darüber so wütend, dass er eine internationale Krise riskiert. Wer ist Osman Kavala?
von Kristina Karasu · 4. November 2021
Osman Kavala – hier im Jahr 2014 in Brüssel: Das Erdogan-Regime warf ihn ins Gefängnis, die freie Welt fordert seine Freilassung.
Osman Kavala – hier im Jahr 2014 in Brüssel: Das Erdogan-Regime warf ihn ins Gefängnis, die freie Welt fordert seine Freilassung.

Als Ende Oktober zehn westliche Botschafter, darunter der deutsche, die Freilassung von Osman Kavala forderten, reagierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erbost: „Wie kommen Sie dazu, der Türkei solch eine Lektion zu erteilen? Wer sind Sie? Sie fordern die Freilassung Kavalas. Lassen Sie etwa die Banditen, Mörder, Terroristen in Ihrem eigenen Land frei?“ schimpfte er. Erdogan drohte mit der Ausweisung der Botschafter – tat es im Endeffekt aber doch nicht.

Osman Kavala wurde in den letzten Jahren von Erdogan und seinen getreuen Medien zu einer Hassfigur stilisiert, obwohl er vor seiner Inhaftierung 2017 einer breiten türkischen Öffentlichkeit kaum bekannt war. Erdogan erklärte ihn zum verlängerten Arm des jüdischen US-Milliardärs und Mäzens George Soros und zum Teil einer internationalen Verschwörung, die darauf abziele, die türkische Regierung zu stürzen. Er wurde angeklagt, die regierungskritischen Gezi-Proteste maßgeblich organisiert zu haben, doch davon wurde er 2020 freigesprochen. Umgehend wurde ein neues Verfahren gegen ihn eröffnet, diesmal wegen angeblicher Beteiligung am Putschversuch vom 15. Juli 2016. Für beides bleiben die Gerichte bisher jeden Beweis schuldig.

Harter Schlag für türkische Zivilgesellschaft

Der Europäische Menschengerichtshof forderte schon 2019 seine sofortige Freilassung. Doch obwohl dessen Urteile für die Türkei bindend sind, sitzt Kavala weiter in Untersuchungshaft. Für die türkische Zivilgesellschaft ist das ein harter Schlag – denn er galt jahrelang als deren Leuchtturm.

Osman Kavala wurde 1957 in Paris geboren, wuchs in der Türkei auf, studierte in Großbritannien Wirtschaftswissenschaften. Sein Vater baute einen millionenschweren Mischkonzern auf, den Osman Kavala nach dessen Tod 1982 übernahm. Zugleich ist Kavala für seine linke politische Haltung bekannt, unterstützte kritische Zeitungen und gründete 1990 den Verlag „Iletisim“, mittlerweile einer der größten der Türkei.

Osman Kavala will Dialog und Versöhnung

Das Erdbeben in der Marmara-Region 1999 war für ihn ein Schlüsselmoment: Er organisierte schnell und unbürokratisch Hilfen. Damals lernte Anne Duncker ihn kennen, heute Bereichsleiterin Europa der deutschen Mercator-Stiftung. Sie lebte damals in Istanbul, Osman Kavala kooperierte nach dem Erdbeben mit der dortigen deutschen Gemeinde. Sie erinnert sich noch genau an ihn: „Kavala strahlte eine große Ruhe und Bescheidenheit aus. Er setzte sich dafür ein sich zusammenzutun, um den Menschen in Not zu helfen - egal ob man nun Christ oder Muslim ist, egal welchen Hintergrund man mitbringt.“

In den Folgejahren traf Duncker ihn noch häufig. 2002 gründete Kavala die Stiftung Anadolu Kültür, die sich zu der wichtigsten zivilgesellschaftlichen Organisation des Landes mauserte. Er förderte den Dialog zwischen der Türkei und Armenien, bewahrte Kulturdenkmäler von Minderheiten vor ihrer Zerstörung, gründete ein Kulturzentrum in der Kurdenhochburg Diyarbakir, unterstützte Künstler, organisierte Ausstellungen und Konferenzen im ganzen Land. „Ihm geht es stets um Dialog und Versöhnung zwischen Menschen verschiedenster Herkunft, Ethnien und Religionen in der Region“, betont Duncker.

Erdogan-Regime sieht sich bedroht

Die Mercator-Stiftung gehört seit Jahren zu den wichtigsten Förderern von Anadolu Kültür, zusammen entwickeln sie zahlreiche Projekte. Kavala war bis zu seiner Inhaftierung hervorragend im Ausland vernetzt, kooperierte etwa häufig mit dem Goethe-Institut, traf Angela Merkel oder Joe Biden. Duncker wundert es daher nicht, dass sich jetzt zehn Botschafter öffentlich für seine Freilassung stark machen: „In vielen europäische Institutionen ist er bekannt und wird sehr geschätzt. Ich glaube, dass viele Funktionsträger von seinem Schicksal persönlich berührt sind, weil es ihnen so abstrus und ungerecht vorkommt, dass dieser Mann seit vier Jahren im Gefängnis aufwacht“, so Duncker.

Vielleicht sind es gerade seine versöhnliche, integrative Haltung und seine finanzielle Unabhängigkeit, die ihn in den Augen der Erdogan-Regierung so gefährlich erscheinen lassen. Viele Beobachter glauben, dass Ankara mit seiner Inhaftierung die Legende aufrecht erhalten will, die Gezi-Proteste seien eine aus dem Ausland koordinierte Verschwörung zum Sturz der Regierung – und nicht ein Aufstand, der aus der türkischen Bevölkerung heraus entstand.

Kaval schweigt nicht – trotz allem

Seine Stiftung Anadolu Kültür hat vier harte Jahre hinter sich, berichtet Duncker. Mitarbeiter wurden vor Gericht geladen, manchen wurde der Pass entzogen. Trotzdem bewundert sie deren Durchhaltevermögen und Stärke. „Es sind in den letzten Jahren viele neue junge Mitarbeiter dazugekommen die sagen: jetzt erst Recht!“ Lange Zeit habe Kavala selbst aus dem Gefängnis heraus noch Ideen entwickelt, neue Projekte angestoßen. „Doch die wenigen Menschen, die Zugang zu Kavala im Gefängnis haben, berichten, dass er nun Tiefpunkte hat, dass die Energie des immer ruhigen, immer starken Osman Kavala abnimmt“, weiß Duncker aus persönlichen Gesprächen. „Das hat uns besorgt.“

Trotz allem schweigt Kavala nicht. Aus dem Gefängnis heraus schrieb er jüngst: „Nachdem ich vier Jahre meines Lebens verloren habe und zu einem ‚nationalen Problem’ geworden bin, kann ich nur darin Trost finden, dass mein Prozess dazu beitragen könnte, die entscheidenden Probleme der türkischen Justiz zu bewältigen. So dass diejenigen, die in Zukunft vor Gericht gestellt werden, eine gerechtere Behandlung erfahren könnten.“

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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