Olympia in Peking: Frank Ullrich zu Corona und Boykott
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Am Freitag beginnen in Peking die Olympischen Winterspiele. Wie groß ist Ihre Vorfreude?
Zunächst wünsche ich allen Athleten und Athletinnen viel Glück und eine erfolgreiche sowie gesunde Zeit in Peking. Auch wenn ich die Olympischen Spiele leider nur aus weiter Ferne verfolgen kann, fiebere ich natürlich mit. Die emotionale Anspannung und Vorfreude ist allerdings eine andere, als wenn man selbst dabei ist und den Augenblick der feierlichen Entzündung des Olympischen Feuers hautnah miterleben darf.
Im Vorfeld gab es viele Diskussionen um die strengen Corona-Regeln in China. Rodel-Olympiasieger Georg Hackl forderte daher sogar eine Verschiebung der Spiele. Wie sehen Sie das?
Als Spitzensportler trainierst du auf die Olympischen Spiele hin. Der Trainingszyklus ist auf das Olympiajahr ausgerichtet. Viele Entbehrungen werden dafür in Kauf genommen. Letztlich ist die Gesundheit dennoch das A und O, um am Ende erfolgreich zu sein. Sowohl der Veranstalter als auch der Deutsche Olympische Sportbund sind sich dieser Situation bewusst. Gesund und fit nach Peking zu kommen und in der Blase gesund zu bleiben, haben höchste Priorität. Bereits im vergangenen Jahr haben deutsche Olympiateilnehmer die Möglichkeit genutzt, um sich mit den Wettkampfstätten vertraut zu machen. Ich denke, die Erfahrungen, die die Athleten zum damaligen Zeitpunkt gemacht haben, sind mit den tatsächlichen Rahmenbedingungen während der Spiele weniger vergleichbar. Auch zu meiner Zeit waren die Umstände davor nicht immer optimal, aber zum Höhepunkt hat fast alles funktioniert. Demnach ist davon auszugehen, dass sich sowohl die Quarantäne- als auch Testbedingungen in der Zwischenzeit deutlich verbessert haben.
Sie wurden 1980 als Athlet Olympiasieger, waren später als Bundestrainer bei zahlreichen Spielen mit dabei. Was glauben Sie, wie stark die Athlet*innen die aktuelle Corona-Lage belastet?
Sportler sind von Natur aus diszipliniert und belastungsverträglich. Seit gut zwei Jahren werden Weltcups und Weltmeisterschaften unter Pandemiebedingungen ausgetragen. Die Blase gehört inzwischen zum Alltag der Athleten und Athletinnen. Doch Olympia ist in dieser Zeit noch mal eine ganz besondere Herausforderung. Mit Einreise- und Testkriterien, Kontaktreduzierungen, leeren Zuschauerrängen, Medienanfragen sowie mit den eigenen Erwartungen angemessen umzugehen, ist äußerst wichtig. Mit dieser Situation müssen sich alle Sportler und Sportlerinnen gleichermaßen auseinandersetzen. Mentale Stärke ist hierbei gefragt. Doch Corona ist nicht die einzige Schwierigkeit für die Athleten. Die aktuelle Situation um die Meinungsfreiheit, Menschenrechte und die Datensicherheit spielen ebenfalls eine sehr große Rolle. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Politik an der Seite der Sportlerinnen und Sportler steht und ihnen den Rücken weitestgehend freihält.
Haben Sie aktuell Kontakt zu Athlet*innen, die in Peking mit dabei sein werden? Wenn ja, wie geht es ihnen?
Mit einigen Athleten und Athletinnen hat es in den vergangenen Tagen vereinzelt Kontakt gegeben. Allerdings war der Anlass nicht sportlich bedingt, sondern hing mit meinem Geburtstag zusammen.
Im Medaillenspiegel der Winterspiele 2018 landete Deutschland mit 14 Goldmedaillen hinter Norwegen auf dem zweiten Rang. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie diesmal?
Ich denke, wenn wir unter den Top drei landen, ist das optimistisch gedacht, aber nicht unrealistisch. An dieser Stelle sage ich aber auch, wenn wir wieder mehr erreichen wollen, dann müssen wir wieder verstärkt an der Basis beginnen.
Wie werden Sie die Spiele verfolgen?
Aufgrund der Zeitverschiebung von sieben Stunden ist eine Live-Verfolgung sehr sportlich. Aber dank der Technik können viele Wettbewerbe in der Mediathek nachgeschaut werden. Nach getaner Arbeit in Berlin und im Wahlkreis eine willkommene Abwechslung. Glücklicherweise finden die Biathlon-Wettkämpfe vormittags deutscher Zeit statt.
Neben der Corona-Lage dominierte auch ein möglicher diplomatischer Boykott die Berichterstattung im Vorfeld der Spiele. Dazu gab es unterschiedliche Positionen. Wie ist Ihre?
Persönlich verurteile ich die systematischen und schweren Menschenrechtsverletzungen Chinas – unter anderem an den Uiguren in der Region Xinjiang – auf das Schärfste. Ein offiziell ausgerufener diplomatischer Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking würde aus meiner Sicht jedoch nicht zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage in China beitragen. Vergangene Boykotts haben gezeigt, dass dieses Instrument nicht dazu geeignet ist, autoritäre Staaten zu einer Änderung ihrer Politik zu bewegen. Es bleibt die persönliche Entscheidung jedes Mitglieds der Bundesregierung, ob er oder sie die Olympischen Winterspiele besuchen möchte oder nicht. Ungeachtet der Entscheidung, ob deutsche Spitzenpolitiker nun nach Peking reisen oder nicht, habe ich angeregt, dass vom Kanzleramt aus eine Grußbotschaft an unsere Olympiamannschaft in Peking gesendet wird. Das sind wir den Athleten für ihre Leistungen schuldig.
In einem früheren Gespräch vor knapp einem Jahr sagten Sie: „Der Sport ist nicht das Problem, sondern der Sport ist die Lösung.“ Gilt das auch für diese Debatte?
Ja, absolut. Der Sport hat einen verbindenden Charakter und trägt gerade in schwierigen Situationen zur Völkerverständigung bei. Ich hätte mir von politischer Seite gewünscht, dass man die integrative Kraft des Sports nutzt, um Spannungen und Missstände vor Ort abzubauen.
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ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo