Olaf Scholz kritisiert EU: Europa hätte mehr Impfstoff bestellen müssen
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Die SPD ist seit ihrer Gründung die Partei der internationalen Zusammenarbeit und spätestens seit 1925 die Partei der europäischen Einigung. Es dürfte dem SPD-Kanzlerkandidaten und Bundesfinanzminister Olaf Scholz daher nicht leicht gefallen sein, das von der EU-Kommission zu verantwortende Impfstoff-Desaster offen und öffentlich zu kritisieren. Doch genau das macht Scholz am 2. Februar bei der Europa-Konferenz von „Zeit“, „Tagesspiegel“, „Wirtschaftswoche“ und „Handelsblatt“ in Berlin.
Scholz: Fehler kritisch eingestehen und daraus lernen
Man müsse „kritisch eingestehen“ sagt Scholz: „Es hätte wohl mehr bestellt werden müssen. Das will ich klipp und klar sagen, gerade wenn ich den europäischen Weg unterstreiche.“ Auch Europa könne Fehler machen. Aber: „Wichtig ist, aus diesen Fehlern für die Zukunft zu lernen.“
Man solle jetzt „nicht lamentieren“, mahnt Olaf Scholz. „Jetzt gilt es, mit Nachdruck auf möglichst schneller Lieferung von Impfstoff zu bestehen. Und wir müssen die Produktionskapazitäten für die Impfstoffe in Europa ausweiten, sehr rasch, mit allen Möglichkeiten, die wir dafür haben.“ Das Impfen müsse „jetzt oberste Priorität“ haben. Denn nur über das Impfen werde es einen Weg aus der Pandemie geben.
Gemeinsame Beschaffung der Impfstoffe war richtig
Europa stehe mit der Corona-Pandemie vor einer der größten Herausforderungen seiner Geschichte. Der Vizekanzler ist überzeugt: „Europa kann und wird diese Krise nur gemeinsam bewältigen.“ Das bedeute, in der Krise zusammenzustehen. „Dieser Punkt ist mir ganz wichtig: Es macht keinerlei Sinn, wenn sich die Staaten Europas gegenseitig die Impfstoffe weggeschnappt hätten.“ Man habe sich bewusst dafür entschieden, die Impfstoffe gemeinsam zu beschaffen und fair zu verteilen.
Europa voran zu bringen erfordere „Mut und Leadership“, so Scholz. Er erinnert an ein Zitat des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmid, der dazu einmal gesagt hat: „Wenn wir nicht bereit sind, auch mal ein Risiko Europas wegen auf uns zu nehmen, dann kriegen wir nichts zustande.“ Genau darum müsse es auch heute gehen. „Fade Bekenntnisse und Sonntagsreden werden nicht genügen: Wir alle haben etwas zu verlieren. Sicherheit und Frieden einerseits, Demokratie, Rechtstaat und soziale Marktwirtschaft andererseits.“
Deutschlands doppelte Verantwortung für Europa
Wenn Europa souverän sein wolle, habe Deutschland „eine doppelte Verantwortung“. Erstens müsse Europas Einheit nach innen stärker werden. „Nur ein einiges Europa ist ein starkes Europa – und wird als solches wahr- und ernst genommen“, so Scholz. „Deshalb müssen wir die Fliehkräfte einhegen und jenen widersprechen, die einer Renationalisierung das Wort reden.“
Zweitens gelte: „Die Voraussetzung für die Diskussion aller Vorschläge ist, dass Vertrauen da ist, dass wir unseren europäischen Partnern auf Augenhöhe begegnen, sie nicht überfahren oder zurücksetzend behandeln. Und dass wir es ernst meinen mit der europäischen Solidarität.“
Technische Innovationen und soziale Gerechtigkeit
Mit dem europäischen Wiederaufbauprogramm in Höhe von über einer Billion Euro habe Europa beides bewiesen: Mut und Solidarität. Das zeige, wer Mut und Leadership aufbringe, könne die Europäer von neuen Wegen überzeugen. So schaffe man Vertrauen. Das Geld aus dem Wiederaufbaufonds müsse nun klug investiert werden: in Forschung, Klimaschutz und digitale Infrastruktur.
So wichtig der Freihandel für den Wohlstand Europas sei, räumt Scholz ein, er führe nicht von alleine dazu, dass der Wohlstand bei allen ankomme. „Ich verstehe die Ängste derer, die sich im Stich gelassen fühlen – sei es in Detroit, Doncaster oder Duisburg“, betont der SPD-Kanzlerkandidat. „Deswegen ist es so wichtig, dass wir in dieser Krise alle beschützen, so gut es geht.“ Das neue europäische Kurzarbeitergeld habe dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet. Europas soziale Verantwortung müsse mit der wirtschaftlichen Integration der EU Schritt halten. „Das war es, was in den USA versäumt wurde“, so Scholz. Europa müsse die Arbeitnehmer in den Transformationsprozessen unterstützen.
Europa muss eine wehrhafte Demokratie werden
Scholz will, dass Europa „zu einer wehrhaften Demokratie“ wird. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft sei man hier den ersten Schritt gegangen: „Erstmals koppeln wir die Überweisung von EU-Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards in allen Mitgliedstaaten.“ Diesen Weg müsse die EU entschlossen weitergehen. „Demokratie und Rechtsstaat sind keine Ideologie“, stellt Scholz klar. „Demokratie und Rechtsstaat sind das, was Europa ausmacht.“
Die Zukunft Europas entscheide sich am Mut, neue gemeinsame Wege und als Europäer für Europa ins Risiko zu gehen, resümiert Scholz. Mut, wie ihn Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing vor gut 40 Jahren mit dem Europäischen Währungssystem gezeigt hätten. „Wir haben im vergangenen Jahr bewiesen, dass es geht“, so der SPD-Kanzlerkandidat. „Bleiben wir mutig! Das ist das, was wir jetzt tun müssen.“