Olaf Scholz: Europa muss sich behaupten in der Welt
Am Tag des Brexit-Votums des britischen Unterhauses hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Berlin seine Vorstellungen für die weitere Entwicklung der EU vorgestellt. In seiner Rede beim „Future Forum Europe“ im Auswärtigen Amt in Berlin nannte Scholz den bevorstehenden Brexit „eine traurige Entwicklung“. Zugleich verteidigte er die Verhandlungsergebnisse zwischen Brüssel und London. Die Beratungen hätten „ein gutes, ein faires Ergebnis“ gebracht. „Ich wünsche mir auch in Zukunft ein enges, partnerschaftliches Verhältnis mit Großbritannien“, betonte der Vizekanzler. „Aber natürlich gilt der Blick in Bezug auf die Zukunft nun vor allem den verbleibenden 27 Mitgliedstaaten der Union. Sie haben in diesen zwei Jahren nämlich auch gezeigt, dass sie geschlossen agieren und zusammen viel erreichen können.“
Binnenmarkt ist Voraussetzung für Erfolg
Den gemeinsamen Binnenmarkt der EU nannte Scholz „eine grundlegende Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg Europas“. Das gelte ebenso für die gemeinsame Handelspolitik, die von der EU verhandelt werde. Angesichts des aktuellen Handelsstreits mit den USA möchte er sich „nicht vorstellen, wie es wäre, wenn die EU-Staaten jeweils für sich allein mit den USA verhandeln“ müssten.
Das mache deutlich: „Der gemeinsame Binnenmarkt ist nicht nur wesentlich für unseren wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch eine wichtige Voraussetzung für unser gemeinsames europäisches politisches Gewicht in der Welt.“ Es gehe darum, „dass wir selbst bestimmen können, wie wir in Zukunft leben wollen“. Scholz stellte klar: „Es geht dabei um europäische Souveränität. Darum, dass uns niemand herumschubst.“ Kein einzelner Staat in Europa habe die Kraft, ohne die EU die Kontrolle über die eigene Entwicklung zu behalten. Selbst Deutschland nicht mit seinen über 80 Millionen Einwohnern.
Es kommt auf Deutschland an
Der Vizekanzler betonte die besondere Rolle der Bundesrepublik in der EU. „Aufgrund unserer Lage in der Mitte der Union, der Einwohnerzahl und unserer Wirtschaftskraft hat alles, was wir tun, direkte Auswirkungen auf unsere Nachbarn. Und genauso alles, was wir nicht tun. Deutschland kommt deshalb – ob wir es wollen oder nicht – eine besondere Rolle zu. Wir müssen Verantwortung dafür übernehmen, dass das europäische Projekt gelingt.“
Bundesfinanzminister Scholz bekräftigte seine Vorschläge für mehr Zusammenarbeit in der Sozialpolitik. Er erinnerte an seine Vorschläge für „eine Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenschutzsysteme“. Ein solcher Stabilisierungsfonds „könnte dabei helfen, dass sich die jeweiligen nationalen Arbeitslosen-Versicherungssysteme in Krisen wechselseitig helfen und ihrer Funktion als automatische Stabilisatoren besser nachkommen“. Die Unterstützung solle „in Form von Krediten erfolgen, ohne Transfers“, stellte Scholz klar. „Es geht nicht um Finanzhilfen, sondern um Stabilität.“
Mehrheitsprinzip auch in der Außenpolitik
Auch in der Steuerpolitik verlangte der Vizekanzler mehr Zusammenarbeit. „Wir müssen international ein Mindestniveau der Besteuerung vereinbaren. Damit stellen wir den Steuerwettbewerb nicht ein – aber wir ziehen eine untere Grenze.“ Ebenso müsse „eine angemessene Besteuerung der Digitalwirtschaft“ und eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden.
Mehr Zusammenarbeit hält der Vizekanzler auch in der Außen- und Verteidigungspolitik für „dringend notwendig“. Europa müsse hier mit einer Stimme sprechen können. „Deshalb sollten wir im Außenministerrat für viele Entscheidungen das Einstimmigkeitsprinzip durch ein Mehrheitsvotum ersetzen.“ Darüber sollten auch die zuständigen Minister im Bereich Steuern und Finanzen diskutieren, schlug Scholz vor. In der Sicherheitspolitik gelte es weiter, „unsere europäische Verteidigungsfähigkeit als europäischen Pfeiler der NATO“ zu stärken.
Europa ist gesünder, als viele glauben
Scholz beendete seine Rede im Auswärtigen Amt mit einem Zitat des früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors: „Europa ist gesünder als viele glauben. Die echte Krankheit Europas sind seine Pessimisten.“