Nur strikte Finanzkontrolle kann Griechenland helfen
Im Gegensatz zur CDU, in deren Reihen es bezüglich Merkels Griechenlandpolitik viele Kritiker gibt, steht die SPD anscheinend geschlossen hinter dieser Politik. Liegt der Grund für dieses unterschiedliche Verhalten vielleicht am jeweiligen Informationsstand der Abgeordneten?
Falsche Maßstäbe an Griechenland
In der CDU scheinen einige begriffen zu haben, dass es in Griechenland eine von Westeuropa völlig andere politische Kultur gibt. In der SPD tut man das, was die meisten westeuropäischen Bürger und Politiker, ob in Brüssel oder Berlin tun: Man projiziert eigene politische Vorstellungen und Wertmaßstäbe auf Griechenland und begreift nicht, dass sie dort nicht passen.
Die Basis der politischen Kultur Griechenlands ist der Klientelismus. Das ist ein System von Abhängigkeitsbeziehungen. Der Bürger ist abhängig von Politikern, um staatliche Dienstleistungen, finanzielle Zuwendungen oder Arbeit im öffentlichen Dienst zu erhalten. Dafür gibt ihm der Bürger seine Stimme und politische Unterstützung. Dieser Klientelismus gilt in Griechenland nicht als ehrenrührig, er ist der Normalzustand seit Jahrhunderten.
Wählerstimmen gegen "Gefälligkeiten"
Der griechische Klientelismus unterscheidet sich grundsätzlich von westeuropäischen. Der Klientelismus Westeuropas beschreibt die Beziehung einer speziellen Gruppe zu einer Partei. Der griechische Klientelismus ist ein die ganze Gesellschaft von oben nach unten durchdringendes System. In diesem System gibt es zwei Sorten von Parteien. Solche, die sich an der Macht abwechseln und solche, die außen vor bleiben. Erstere sind Klientelverbände, die durch Rousfetia (Gefälligkeiten) zusammengehalten werden. Letztere sind chancenlose Programmparteien z.B. die Grünen. Parteien, die an die Macht kommen, haben einen Patron oder einige Granden an der Spitze, die Zugriff auf die staatlichen Gelder haben und sich selbst bereichern und finanzielle Rousfetia an ihre Gefolgschaft verteilen und sich so deren Loyalität erkaufen.
Bis zum EWG-Beitritt 1981 hielt sich der Diebstahl staatlicher Gelder mangels Masse in Grenzen. Als jedoch EWG-Hilfsgelder ins Land flossen, nahm der Diebstahl staatlicher Gelder ungeahnte Ausmaße an. Unter Andreas Papandreou änderte sich der Charakter des Klientelismus. Es entstand etwas, was man als Kleptokratie bezeichnen könnte. Als nach 17 Jahren PASOK-Herrschaft, die konservative Nea Dimokratia zurück an die Macht kam, trieb sie es noch toller. Als Griechenland durch den Beitritt zur Euro-Zone an billige Kredite kam, begann einerseits das Leben auf Pump und andererseits nahm die Veruntreuung staatlicher Gelder ungeahnte Ausmaße an. Am Ende stand die jetzige Situation. De facto ist Griechenland ein failed state.
Staatsjobs als Dank der Parteien
Die Rousfetia bestehen aber nicht nur aus veruntreuten staatlichen Geldern, sondern auch aus Posten im öffentlichen Dienst, den staatlichen Betrieben und sogar im Militär. Jeder vierte Arbeitsplatz ist in Griechenland in diesem Bereich angesiedelt, der dadurch natürlich völlig aufgebläht und im Falle der staatlichen Betriebe nicht konkurrenzfähig ist. Entlassungen, werden versprochen, aber nicht vorgenommen, da sie die eigene Partei ruinieren würden. Der griechische Wähler stimmt nicht für das Programm einer Partei, sondern für die, von der er ein Rousfetia erwartet oder gegen die, die ihm den erwarteten Gefallen nicht getan hat.
Hinzu kommt, dass die Reichen in Griechenland seit 1830 steuerfrei sind. Nur die kleinen Leute werden durch Lohn- und Verbrauchssteuern zur Kasse gebeten. Dass dieses System ein geradezu ideales Biotop für extreme Korruption darstellt, ist verständlich. Wenige Hundert Familien kontrollieren über 90 Prozent das Bruttoinlandsprodukts.
PASOK war typische Klientelpartei
In der SPD hielt man jahrelang die PASOK für eine sozialdemokratische Schwesterpartei. Tatsächlich war die PASOK ein typischer griechischer Klientelverband. Für Kenner der griechischen politischen Landschaft war seit langem klar, dass auch die SYRIZA ein Klientelverband war - im Wartestand. Als sie an die Macht kam, waren auf dem Sektor der Personalpolitik die üblichen personellen Umbesetzungen zu registrieren.
Allerdings ist die SYRIZA kein homogener Klientelverband. Die Hälfte besteht aus übergewechselten Subnetzen der PASOK, die andere Hälfte stammt aus den sog. K-Gruppen. Der Ex-PASOK-Teil ist natürlich klientelistisch orientiert. Die Anhänger der Linken tun sich schwer damit. Hinzukommt, dass gegenwärtig mangels Geldmittel keine Rousfetia verteilt werden können. Ein Spaltung ist möglich.
Finanzquellen für Klientelismus austrocknen
Das einzige Mittel, um das klientelistische System zu ändern, ist es, die finanziellen Quellen für Rousfetia auszutrocknen. Dies geschah 1897 schon einmal, als Griechenland so pleite war, dass es unter europäische Finanzkontrolle gestellt wurde. Dies bedeutete natürlich eine Einschränkung der staatlichen Souveränität, gegen die sich die heutige Oligarchie natürlich mit allen Mitteln wehrt.
Letztlich hofft man, dass die EU - wie die früheren Schutzmächte Großbritannien und USA - die Schulden begleichen wird, und Athen mit dem alten System ohne Reform weitermachen kann. Die bisherigen Rezepte der Troika und der EU doktern an den Symptomen herum, aber nur eine strikte Kontrolle der ins Land fließenden Hilfsgelder kann die Krankheit heilen.
ist Historiker. Er lehrte bis 2003 als Professor für moderne griechische und zypriotische Geschichte an der Universität Mannheim. Der griechische Staat verlieh dem Sozialdemokraten im Jahr 2000 das Goldkreuz des Phönix-Ordens.