Am 1. Januar hat Griechenland den Ratsvorsitz der Europäischen Union übernommen. Es sei „eine Präsidentschaft der Chance“, hofft Regierungschef Samaras. Doch das Land steckt nicht nur in einer wirtschaftlichen, sondern auch in einer politischen Krise.
Wie ist die Situation in Griechenland, dessen Regierung zu Beginn dieses Jahres den Vorsitz in der EU übernahm und ihn bis nach den Europawahlen im Mai behalten wird? Antonio Samaras, der konservative Regierungschef, sagt: „Es ist eine Präsidentschaft der Chance und nicht der Krise.“ Sein Wirtschaftsminister Kostis Chatzidakis sagt: „Wir werden für Überraschungen sorgen.“ Es gibt manche in Brüssel wie in Straßburg, die das als Drohung auffassen, obwohl der Minister das sicher nicht so gemeint hat. Einhellige Auffassung ist: Die EU muss Griechenland retten. Sie muss aber auch sich selbst retten. Das wird nicht einfach. Auch weil Wahlen sind.
Griechenland also hat den Vorsitz in der EU. Griechenland hat einen kranken, mindestens maroden Staatsapparat. In diesem Apparat bewegt sich wenig. Die Bürokraten verteidigen ihre Bürokratie. Die ist kaum effizient. In Teilen korrupt. Ein einst mächtiger, einflussreicher Mann war der ehemalige Verteidigungsminister Akis Tsochatzopoulos. Er sitzt im Gefängnis. Verurteilt zu einer langen Haftstrafe. Die Ermittler fanden heraus: Der Politiker hat die Hände aufgehalten beim Kauf von russischen Raketen und deutschen U-Booten. Die Bestechenden saßen in Russland und Deutschland. Die Bestochenen im griechischen Militär und in der Regierung. Wie verbreitet die Korruption im Apparat ist, ist kaum in Umrissen sichtbar geworden und der Fall des Ex-Verteidigungsministers ist nur ein Beispiel von mehreren.
Viele Griechen sind verärgert
Diese Art von Regierungskriminalität verärgert viele Griechen in Piräus, Athen oder Thessaloniki, überrascht sind sie nicht: „Die spielen jetzt Opfer, nachdem sie und ihre Familien Jahrzehnte lang das Land ausgeraubt haben“, meint der 28-jährige Dimitrios, der nahe am Hafen in Thessaloniki ein Cafe an der Promenade betreibt. Dimitrios und seine Freunde machen sich keine Illusionen: „Wir müssen das alleine schaffen.“ Auf die Akteure der Politik setzen sie nicht. Auch deswegen nicht, weil sich die privaten Einkommen in den vergangenen zwei Jahren mehr als halbiert haben. Genaue Zahlen gibt es nicht. Obendrein hat die Regierung auf Druck der EU harte Kürzungen im Staatshaushalt durchgesetzt: Die Sozialleistungen wurden zusammengestrichen, die Renten gekürzt, die Beamtengehälter reduziert. Es brodelt in den politischen Kulissen Athens und in der Bevölkerung vor allem in den größeren Städten des Landes.
Das hat auch seinen Grund in der denkbar unübersichtlichen Lage: Regierungschef Samaras kündigte zum Jahresbeginn an: „Griechenland will im kommenden Jahr ohne neue Finanzhilfe auskommen.“ Die internationalen Finanzmärkte halten das für unrealistisch. Griechenland könne gar nicht auf EU-Hilfe verzichten. Seit 2010 hat Athen 240 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie den Staaten der Eurozone erhalten und der aktuelle Finanzbedarf bis 2018 liegt mindestens bei zehn Milliarden Euro. Die will Samaras sich auf den Finanzmärkten holen. Experten bezweifeln, dass das gelingen kann.
Vor allem aber will Samaras eines erreichen: Einen Schuldenschnitt. Doch der ist in Brüssel mehr als umstritten.
Europawahl könnte das Land in Turbulenzen stürzen
In diesem Szenario finden die Europawahlen im Mai statt. Dieser Urnengang ist für Griechenland bedeutungsvoll: Es gibt derzeit vor allem zwei starken Strömungen. Die, die die Wahlen ablehnen und sich enthalten werden und diejenigen, die wählen gehen und gegen Europa stimmen werden. Jedenfalls prognostizieren Wahlforscher einen starken Zuwachs sowohl im rechten wie auch im linken Parteienspektrum. Das könnte die griechische Politik in turbulente, sehr problematische Situationen führen.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).