Gespenstische Ruhe herrscht auf den Straßen der iranischen Hauptstadt Teheran. Wo vor wenigen Tagen noch Hunderttausende gegen Wahlfälschungen und den umstrittenen Erdrutschsieg von Präsident Ahmadinedschad demonstrierten, ist Schweigen. Und auch von den Häuserdächern ertönen nur noch selten laute Rufe von Anhängern des Oppositionskandidaten Hussein Mussawi.
Grüne Revolution hält den Atem an
Die Sicherheitskräfte, darunter die brutalen Bassidsch-Milizen, haben den Widerstand der Straße gebrochen. Unter den scharfen Sicherheitsvorkehrungen werden die Einwohner Teherans angehalten,
nicht einmal mehr stehen zu bleiben. Und selbst vor dem Recht auf die Unversehrtheit der eigenen vier Wände haben die Milizen nicht Halt gemacht, sondern zahlreiche Wohnungen von Protestlern
verwüstet. Vor den Moscheen demonstrieren zwar vereinzelt noch Tausende, nicht mehr jedoch Hunderttausende wie früher. Immer weniger Menschen trotzen dem Regime. Immer weniger demonstrieren gegen
die Präsidentenwahl. Die grüne Revolution hat den Atem angehalten.
Denn der geistliche Führer im Iran Ajatollah Chamenei hält weiterhin zu Präsident Ahmadinedschad und forderte Regierung und Opposition auf, die Jugend nicht emotional aufzustacheln, die
Menschen nicht gegeneinander aufzuhetzen und die Einheit der Nation nicht zu beschädigen. Eine unabhängige Überprüfung der Wahlen oder eine generelle Annullierung lehnte er am Sonntag wieder ab.
Und der Präsident selbst triumphiert und schiebt die gesamte Schuld den britischen und amerikanischen Medien zu. Zeitweise ließ er sogar acht iranische Mitarbeiter der britischen Botschaft in
Teheran festnehmen, vor allem die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen BBC auf Persisch missfällt der iranischen Regierung.
Oppositionsführer Hussein Mussawi hingegen fordert weiterhin Neuwahlen, ihm reicht das Angebot der Überprüfung von zehn Prozent der abgegebenen Stimmen nicht aus. Erst einmal ist er
untergetaucht.
Trauriger Rekord: Höchste Anzahl von Todesstrafen weltweit
Die Wahlen im Iran sind zwar nicht von vorne bis hinten gefälscht worden. Westliche Geheimdienste haben in ihren Analysen Monate vor der Wahl bereits festgestellt, dass Ahmadinedschad vorne
liegt. Auch wenn es bei bis zu drei Millionen Stimmen zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein sollte, würde dies nichts groß ändern. Jedoch hatte sich der Protest gegen den unglaubwürdigen
Erdrutschsieg Ahmadinedschads schnell ausgeweitet. Am Ende ging es um grundlegende Freiheiten und Menschenrechte, die schwierige Balance des iranischen politischen Systems zwischen Theokratie
und Demokratie und selbst die Stellung des geistlichen Führers.
Immer neue Meldungen von lahm gelegten Mobilfunknetzen, Verhaftungen von Oppositionsangehörigen und schließlich das Verbot einer Kundgebung des unterlegenen Mussawis hielten die Proteste am
Leben. Die junge Bevölkerung ist unzufrieden mit der Einschränkung ihrer Freiheiten. Weite Teile haben die Revolution vor dreißig Jahren nicht mehr miterlebt, ihnen sind Beschäftigung, Wohlstand
und Freiheit wichtiger. Frauen sind nur Bürger zweiter Klasse, der Iran verzeichnet die höchste Anzahl von Todesstrafen weltweit.
Zudem war Präsident Ahmadinedschad bereits in seiner ersten Amtszeit der iranischen Mittelklasse ein Dorn im Auge. Sie beklagt seine desaströse Wirtschaftspolitik, die die hohen Öleinnahmen
für populistischen Maßnahmen verwendet hat, und ein Abgleiten in venezolanische Verhältnisse. Den Konfrontationskurs Ahmadinedschads in der Außenpolitik lehnt sie ab.
Politisches System beschädigt
Zwar mögen die Massenproteste erst einmal vorbei sein, langfristig haben sie jedoch gezeigt, dass es eine große Gruppe von Unzufriedenen in der iranischen Bevölkerung gibt, der es für kurze
Zeit immer wieder gelingen wird, sich zu organisieren und die Einschränkungen des Regimes zu umgehen. Anlässe wird es immer wieder geben. Ein weitverbreitetes iranisches Sprichwort lautet: die
Glut liegt unter der Asche. Und auf ewig wird es der Regierung nicht möglich sein, die Handynetzwerke lahm zu legen, das Internet zu blockieren und den freien Willen der Bevölkerung zu
unterdrücken.
Das politische System des Iran ist schwer beschädigt, weil es das voreingenommene Wort des geistlichen Führers über die Volksentscheidung stellte. Weil es erste Manipulationsvorwürfe nicht
sofort und unabhängig prüfen ließ. "Die Autorität des geistlichen Führers ist dauerhaft erschüttert," sagt der frühere iranische Präsident Abdolhassan Banisadr, "er hätte nicht einseitig in diese
Wahl eingreifen dürfen. Jeder weiß inzwischen, dass er den Wahlbetrug organisiert hat."
An der Spitze Irans wird der Kampf zwischen den reformbereiten Kräften um Mussawi, den ehemaligen Präsidenten Muhammad Khatami und den Vorsitzenden des Wächterrats Rafsandschani gegen die
konservativen Kräfte um Ahmedinedschad und Chamenei noch lange weitergehen und könnte am Ende doch noch zu einem Wandel des Landes führen. "Das Volk wird letztendlich als Sieger hervorgehen,"
meint Abdolhassan Banisadr, "diese Protestbewegung hat das Regime stark geschwächt und delegitimiert. Es ist schwach, und das wird durch die Wirtschaftskrise noch verstärkt."
Unter den Demonstranten waren nicht nur gewaltbereite Jugendliche, sondern friedliche Studenten und Frauen, Busfahrer, Basar-Händler und selbst Geistliche. Die demoralisierte Opposition
fühlte sich auf einmal stark und vereint, der zuvor eher blasse Mussawi wurde zu ihrem Held und Anführer. Bei neuen Anlässen wird sie wieder so vereint dastehen und auf ihre ersten Erfahrungen
zurückgreifen können. Karim Sadjadpour von der Carnegie Stiftung für Frieden sieht eine lange Zukunft von Aktionen ziviler Ungehrosamkeit, von Streiks bei Händlern und sogar Arbeitern in der
Ölindustrie. "Zwar werden die Massen nicht mehr so groß sein wie früher," so Sadjadpour, "jedoch Schlüsselsegmente der Wirtschaft lahm legen." Der Konflikt ist noch lange nicht vorbei, er hat nur
eine neue Qualität angenommen.
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.