Noam Chomsky: Die USA sind der größte Terror-Staat
Der Ami bös’, der Russe gut – so einfach scheint die Weltsicht vieler, die sich heutzutage in den sozialen Medien austoben. Dabei spielen ‚links’ oder ‚rechts’ eine untergeordnete Rolle: Der obsessive Hass auf alles Amerikanische scheint bei einigen Linkspartei-Anhängern fast so selbstverständlich zu sein wie bei AfD- und Pegida-Fans. Eine auffallende Gemeinsamkeit: Ihre Ablehnung der USA fußt meist auf Vorurteilen, Verschwörungstheorien und Klischees.
Fakten statt Verschwörungsfantasien
Aus diesem Grund dürfte „Wer beherrscht die Welt?“, das neue Buch des US-amerikanischen Autors Noam Chomsky, wohl nicht gut ankommen bei vielen notorischen Amerikahassern – obwohl das Buch nicht an Kritik gegenüber den USA spart. Ganz im Gegenteil: Chomsky geht hart ins Gericht mit der amerikanischen Außenpolitik. Allerdings setzt der Autor auf etwas, das Verschwörungstheoretikern fehlt: Fakten.
Für Chomsky sind die USA „der führende terroristische Staat“, deren Außenpolitik seit langem in der ganzen Welt für Instabilität verantwortlich sei: Unzählige Attentatsversuche auf Fidel Castro, Unterstützung der rechten „Contras“ in Nicaragua, Einmarsch in den Irak – inklusive schwerer Menschenrechtsverletzungen in Abu Ghraib und Guantánamo. Folter, so schreibt Chomsky, sei dabei allerdings „noch das Geringste der vielen Verbrechen“, derer sich die USA und andere Großmächte schuldig machten. Schlimmer noch seien „Aggression, Terror, Subversion und wirtschaftliche Strangulation“, die von Washington ausgingen.
Die Verwerfungen der „humanitären Intervention“
Die heutige außenpolitische Praxis der USA gehe bis auf die Zeit des Kolonialismus zurück, analysiert Chomsky: Die britischen Siedler von einst hätten sich als „mildtätige Humanisten“ empfunden, die das Ziel hatten, die amerikanische Urbevölkerung „von ihrem bitteren heidnischen Schicksal zu befreien“. Bis heute, so schreibt Chomsky, spiegele sich diese frühe „Idee Amerikas“ weltweit in US-geführten Militäroperationen wieder, denen das Label „humanitäre Intervention“ angeheftet werde. Häufig jedoch erwiesen sich die vermeintlich humanitären Einsätze „als Katastrophe für die angeblichen Nutznießer“.
Bei aller Kritik an den USA unterscheidet sich Noam Chomskys Argumentation jedoch deutlich von dem blindwütigen Hass auf Amerika, wie er heute bei Populisten und Rechtsradikalen zu finden ist: Zum einen belegt Chomsky – ganz der präzise Wissenschaftler – alle Argumente akribisch im Anhang seines Buches. Somit stellt er einen Kontrast zur anti-amerikanischen Stimmungsmache der faktenresistenten Rechtspopulisten dar. Zum anderen lässt sich Chomsky nicht dazu hinreißen, einzig die USA zu verteufeln: Immer wieder betont er, dass viele seiner Kritikpunkte bei „imperialen Mächten fast universell verbreitet“ seien.
Chomsky als großer Intellektueller
Wer den emeritierten Linguistik-Professor Chomsky als politischen Denker kennt, dem wird sein neues Buch bekannt vorkommen. Kritisch, akribisch recherchiert und meinungsstark ist es – wie schon seine Bücher „War against people“ (2001) oder „Der gescheiterte Staat“ (2006). Die These von Amerika als größter „Schurkenstaat“ der Welt ist dabei nicht neu, vielmehr ist sie so etwas wie Chomskys politisches Kernthema.
Dass er als hoch spezialisierter Sprachwissenschaftler, der am amerikanischen MIT einst die moderne Linguistik revolutionierte, so viel politischen Sachverstand mitbringt, ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Ziehen sich heute doch allzu viele Forscher in den Elfenbeinturm zurück und verlieren dabei gerne den Blick für die ernsten Probleme der Welt. Noam Chomsky hat das nie getan – weswegen ihm die New York Times einst ein ganz besonderes Lob aussprach: Er sei der „bedeutendste lebende Intellektuelle“.
Noam Chomsky: Wer beherrscht die Welt? Die globalen Verwerfungen der amerikanischen Politik. Ullstein, 416 Seiten, 24,00 Euro.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.