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"Nicht alles gut, aber es geht voran“

von Jérôme Cholet · 6. Mai 2009
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Der Barbur-Garten im Herzen Kabuls ist die größte Grünanlage der afghanischen Hauptstadt und ein Symbol für die wechselhafte Geschichte des Landes. Einst von den Taliban als Ort der Sünde geschlossen, können hier sieben Jahre nach Ende der Schreckensherrschaft wieder Menschen frei spazieren. Außenminister Frank-Walter Steinmeier ließ es sich daher nicht nehmen, im Barbur für einen gemeinsamen Termin mit dem afghanischen Amtskollegen Rangin Dadfar Halt zu machen - und pflanzte selbst einen Baum.

Doch die Reise des Außenministers wurde von zwei Anschlägen auf deutsche Truppen überschattet. In Kundus griff ein Selbstmordattentäter eine deutsche Patrouille an. Im Norden des Landes wurde ein Hauptgefreiter aus Donaueschingen in einem Gefecht mit Taliban-Kämpfern erschossen. Insgesamt wurden neun Bundeswehr-Soldaten verletzt. Entgegen allen Hoffnungen ist der bislang relative ruhige Norden noch immer nicht sicher. Gerade dort, wo die Bundesrepublik das Kommando übernommen hat.

Weiterer Anstieg der Gewalt erwartet

Deutschland engagiert sich neben einundvierzig anderen Nationen für die Stabilisierung und den Wiederaufbau des Landes in der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (Isaf). Dabei handelt es sich nicht um eine Blauhelmmission, sondern einen sogenannten friedenserzwingenden Einsatz. Für die Unterstützung der gewählten Regierung Afghanistans, zur Herstellung und Aufrechterhaltung eines sicheren Umfeldes und zum Wiederaufbau Afghanistans darf auch Waffengewalt eingesetzt werden.

Deutschland stellt dafür 3.600 Soldaten, die vom Bundestag mit einem robusten Mandat ausgestattet wurden. Im Oktober hatte eine Mehrheit der Abgeordneten die Verlängerung des Einsatzes in Afghanistan mit 442 zu 96 Stimmen beschlossen. Außenminister Steinmeier hatte sich besonders für das deutsche Engagement ausgesprochen. "Afghanistan darf nie wieder ein Zufluchtsort für Terroristen werden," so der Außenminister in einem SPIEGEL-Interview, "die Regierung muss Sicherheit und Stabilität aus eigener Kraft gewährleisten können und die elementaren Menschenrechte müssen gewahrt sein."

Zwar liegen keine Erkenntnisse vor, dass es zwischen dem zuvor geheim gehaltenen Besuch des Außenministers und den Anschlägen einen Zusammenhang gab. Jedoch wird davon ausgegangen, dass die Taliban damit ihre angedrohte Großoffensive "Nasrat" (Sieg) begonnen haben. Erstmals wichen sie von ihrer Taktik der kurzfristigen Aktionen ab und scheinen nun geplanter vorzugehen. Im Internet verkündete der regionale Talibanchef Mullah Brodar Akhund eine Ausweitung der Hinterhalte, Bomben- und Selbstmordanschläge auf die afghanische Regierung, ausländische Truppen und Vertretungen.

USA will Truppeneinsatz verstärken

Denn die Taliban haben in den letzten Monaten in Afghanistan und Pakistan wieder an Boden gewonnen. In den Vereinigten Staaten von Amerika wird die Region mittlerweile als "Afpak" zusammengefasst. Der amerikanische Präsident Barack Obama hat daher Mitte April einen Strategiewechsel verkündet und eine Verstärkung des Engagements in beiden Ländern begonnen. Washington will in einem letzten Kraftakt endlich die Wende schaffen, weg von Taliban und Terrorismus hin zu Frieden und Sicherheit. Dafür sollen die amerikanischen Truppen in Afghanistan um 70.000 Soldaten aufgestockt werden, die Verbündeten wurden gebeten, weitere 20.000 Mann zur Verfügung stellen. Mitte Mai kommen die Regierungen Pakistans, Afghanistans und der Vereinigten Staaten in Washington zusammen, um über die nächsten Weichenstellungen zu beraten.

Steinmeier bekräftige den neuen Ansatz der US-Regierung, die Stabilisierung der Lage nur über einen regionalen Ansatz zu erreichen. Pakistan müsse dringend in die Bemühungen einbezogen werden, so der Außenminister. Doch die deutsche Bevölkerung steht dem Einsatz eigener Soldaten am Hindukusch skeptisch gegenüber. Noch immer ist mehr als die Hälfte der Deutschen laut Meinungsumfragen gegen das Isaf-Engagement. Jede Meldung weiterer Rückschläge und neuer Opfer unter den deutschen Soldaten lastet schwer auf der Regierung.

Fortschritte bei ziviler Aufbauhilfe

Steinmeier reiste auch deshalb in die Region um für das Land zu werben und die Fortschritte zu betonen. In Mazar-e-Sharif konnte ein neuer Flughafen eingeweiht werden. Seit Anfang der Isaf-Mission können wieder über sechs Millionen Jungen und Mädchen eine Schule besuchen, 85 Prozent der Bevölkerung haben wieder einen Arzt oder ein Krankenhaus in unmittelbarer Nähe, mehr als die Hälfte der minenverseuchten GebieteAfghanistans sind geräumt. Denn neben dem Kampf gegen die Taliban leistet die Bundesrepublik auch zivile Wiederaufbauhilfe. Deutschland unterstützt den Aufbau von Schulen, Straßen und Polizeistationen. Deutsche Polizeiberater trainieren afghanische Polizisten.

Doch Experten gehen davon aus, dass der Einsatz noch einmal kriegsartiger wird. Anschläge wie gegen die deutschen Soldaten in den vergangenen Wochen könnten wieder zunehmen. Denn die internationale Gemeinschaft ringt um den Durchbruch und will noch entschiedener vorgehen. Das Ziel lautet, Afghanistan nicht nur von den Taliban zu befreien sondern auf stabile Füße zu stellen. "Jedes zivile Opfer und jedes Selbstmordattentat sind ein Rückschlag," so der Außenminister, jedoch "ein Abzug wäre nicht nur eine Verletzung der Solidarität mit den internationalen Partnern, sondern auch die Aufgabe der gemeinsamen Ziele für das Land."

In Kabul kam Steinmeier mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai aber auch dem Repräsentanten des Aga Khan, der zivile Wiederaufbauprojekte leitet, mit dem Beauftragten der Vereinten Nationen und dem Leiter der EUPOL zusammen. In Mazar-e-Sharif besuchte er zwei verletzte Soldaten und betonte: "Ich bin heute zu ihnen gekommen, um auch den getöteten und verwundeten Soldaten meinen Respekt zu erweisen. Solche Gewalttaten dürfen uns nicht davon abhalten, unsere Arbeit für eine bessere Zukunft dieses geschundenen Volkes fortzusetzen." Trotz der großen Herausforderungen und trotz zahlreicher Rückschläge hält der Außenminister also an dem Engagement fest. "Es wäre falsch zu sagen, alles ist gut," so Steinmeier, "aber es geht voran."


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Jérôme Cholet

arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.

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