International

Neustart für Europa

von Kai Doering · 1. März 2013

Er hat zurzeit keine leichte Aufgabe. Giorgio Napolitano entscheidet als Präsident darüber, wen er mit der Bildung der neuen italienischen Regierung beauftragt. Am Freitag hielt er in Berlin eine Grundsatzrede zu Europa – und mahnte ein Umdenken an. 

Zu Peer Steinbrück sagt er nichts. Kein Wort verliert Giorgio Napolitano über die Äußerungen des Kanzlerkandidaten, wegen derer der italienische Präsident ein geplantes Treffen kurzfristig platzen ließ. Steinbrück hatte die italienischen Politiker Silvio Berlusconi und Beppe Grillo Anfang der Woche als „Clowns“ bezeichnet, von deren Wahlerfolg er entsetzt sei.

Statt um die schwierige Situation nach der Wahl in Italien geht es am Freitagvormittag um Europa. Napolitano hält die „Willy Brandt Lecture“, zu der die Bundeskanzler Willy Brandt Stiftung alljährlich „eine herausragende Persönlichkeit von internationalem Renommee“ an die Humboldt-Universität nach Berlin einlädt. Vor Napolitano haben hier u.a. Weltbankpräsident Robert Zoellick und der frühere Bischof Wolfgang Huber gesprochen. Heute also der scheidende italienische Präsident.

Monet und Maastricht

Er sehe eine „Verarmung der Vorstellung von Europa“, stellt Giorgio Napolitano fest. Vor allem unter jungen Menschen gebe es „eine wachsende Ernüchterung gegenüber der europäischen Idee“. Auch wenn diese Tatsache in Napolitanos Heimat, in der die Jugendarbeitslosigkeit mit 38,7 Prozent gerade einen neuen Rekordweg erreicht hat, besonders alarmierend ist: Auch im Hörsaal der Humboldt-Universität nicken die zumeist jungen Zuhörer zustimmend.

Dabei hatte alles so gut angefangen. „Schon Jean Monet sah eine europäische Konföderation als einzige realistische Möglichkeit für Europa“, erinnert Napolitano. Die beiden haben immer wieder zusammengearbeitet. In den 70er und 80er Jahren habe sich Europa rasant entwickelt. Der Vertrag von Maastricht über die Währungsunion sei der Höhepunkt dieses Prozesses gewesen, ein „Vorwärtssprung auf dem Weg der Integration“.

Bekenntnis zu Europa

Dann kam die Krise, die Ernüchterung. „Die Innovationen der 70er und 80er Jahre waren vor allem wegen des Zusammenklangs verschiedener Politiker möglich – nicht zuletzt Willy Brandt“, erinnert der italienische Präsident. Dieses Engagement vermisse er von der heutigen Politikergeneration. „Es ist notwendig, dass die Politiker stolz sind auf Europa und es nicht nur als Sündenbock für unbequeme Entscheidungen sehen“, sagt Napolitano. Entscheidend sei das „Bekenntnis zu Europa“.

Napolitano fordert in seiner gut einstündigen Rede nicht weniger als einen „Neuanfang“ für Europa. Hierfür müsse das europäische Parlament gestärkt, die Bürger müssten stärker einbezogen werden. „Wir brauchen eine Europäisierung der Politik und der Parteien, um wirklich europäisch zu werden“, ist Napolitano überzeugt.

Und auf Deutschland komme es an. Kein Land könne allein den Herausforderungen der Gegenwart begegnen – „auch nicht unsere Freunde in Großbritannien“. Deutschland allerdings trage „als größte Volkswirtschaft“ eine besondere Verantwortung: „Es muss seine Möglichkeiten erweitern, etwas gegen die Rezession in Europa zu tun.“ Gut möglich, dass es dabei dann auch auf Peer Steinbrück ankommen wird.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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