Neuseeland: Warum Jacinda Ardern so erfolgreich ist
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Jacinda Ardern entwickelte sich zuletzt zur beliebtesten Premierministerin, die es in der jüngeren neuseeländischen Geschichte je gab – oder zumindest, seit im Land die ersten systematischen Meinungsumfragen stattfanden, also seit den 1970ern. Sicherlich stimmt es, dass sie nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie die Herzen und Köpfe vieler Neuseeländer*innen gewonnen hat. In den internationalen Medien wurde sie bereits zuvor oft als inspirierende Staatschefin gelobt – im Land selbst fiel ihre persönliche Beliebtheit und diejenige ihrer gemäßigt linken Labour Party vor Covid-19 allerdings verhaltener aus.
63 Prozent unterstützen Ardern
Laut einer Colmar-Brunton-Umfrage vom November 2019 lagen Arderns Zustimmungswerte als Ministerpräsidentin zwar deutlich höher als diejenigen ihres direkten Gegners (36 Prozent gegenüber 10 Prozent). Die Unterstützung für die Labour Party aber lag mit 39 Prozent nur zwei Prozentpunkte über dem Wahlergebnis von 2017. Der Wert für die Opposition, die moderat rechte Nationalpartei, lag dagegen bei 46 Prozent. Auch bis zum Februar 2020 änderte sich dies kaum: Arderns persönliche Beliebtheit stieg um sechs Prozentpunkte und Labour konnte zwei Punkte dazu gewinnen, aber die Unterstützung für die Opposition blieb weiterhin hoch. Kommentator*innenen meinten bereits, die Parlamentswahl im September 2020 könne eng werden.
Zwischen März und Mai aber änderte sich mit dem weltweiten Covid-19-Chaos das Bild. Colmar Bruntons erste Umfrage während der Pandemie machte mit einer tektonischen Verschiebung in der politischen Landschaft Schlagzeilen: Die Unterstützung für Labour stieg um 18 Prozentpunkte auf 59 Prozent, während diejenige für die Nationalpartei um 17 Punkte auf 29 Prozent fiel. 63 Prozent der Befragten bezeichneten Jacinda Ardern als bevorzugte Premierministerin. Dieser Wert lag noch über den 59 Prozent, die der beliebte ehemalige Premierminister John Key von der Nationalpartei im September 2011 erreicht hatte.
Die Premierministerin trifft den Ton
Eine Woche später wurde die Labour Party einer IPSOS-Umfrage zufolge unter 1 000 Befragten als die Partei genannt, die am besten geeignet sei, die drängendsten Herausforderungen des Landes zu bewältigen. Die größten Sorgen galten dabei der Wirtschaft, der Arbeitslosigkeit, dem Wohnungswesen, der Gesundheit, der Armut und der Inflation, und in jedem dieser Bereiche (und in neun anderen) konnte Labour bei der Bewertung der Tauglichkeit deutlich zulegen.
Zumindest teilweise kann diese positive Einschätzung auf den Umgang der Regierung mit Covid-19 zurückgeführt werden. Das gilt nicht nur mit Blick auf die politischen Entscheidungen, sondern auch die Art, wie Jacinda Ardern die Notwendigkeit eines neuseeländischen Lockdowns kommuniziert hat: Ihr rhetorischer Ansatz war von einer warmen, ruhigen und manchmal witzigen Entschlossenheit geprägt, mit der sie die Neuseeländer*innen dazu aufrief, freundlich zu sein, sich zu „vereinen“, „zu Hause und in Sicherheit zu bleiben“ und sich eine kleine „Blase“ geliebter Menschen zu schaffen, um die Übertragung der Krankheit zu verhindern. Gemeinsam mit dem Generaldirektor für Gesundheit verkündete sie diese Botschaften täglich formell in den Nachrichtenmedien, und in lockererem Tonfall auch über Facebook und Instagram. Und fast jeden Tag schalteten sich Hunderttausende Neuseeländer*innen zu, um ihre neuesten Mitteilungen zu hören.
Mit Baby in der UN-Generalversammlung
Konzentriert man sich in Neuseeland allerdings auf Arderns Covid-19-Politik, läuft man Gefahr, ihre vorherigen Verdienste als Premierministerin zu übersehen. Dabei spielt auch das Ausmaß der Herausforderungen eine Rolle, die sie im Vergleich zu ihren Vorgängern zu bewältigen hatte. Insbesondere hat sie 2017 für ihre zweitplatzierte Partei eine Koalition sowohl mit einer populistischen konservativen Partei als auch mit den Grünen auf die Beine gestellt – was in der neuseeländischen Version des deutschen personalisierten Verhältniswahlsystems völlig neuartig war. Es handelt sich um eine ungewöhnliche politische Konstellation, die aber tatsächlich überlebt hat.
2018 war Ardern die zweite Frau weltweit, die während ihrer Amtszeit als Premierministerin ein Kind bekam und damit einige männliche Kommentatoren widerlegen konnte, die eine Kombination von Mutterschaft und politischer Führung ablehnten. Danach war sie die erste Politikerin, die ihr Baby in die Generalversammlung der Vereinten Nationen mitnahm. Und 2019 reagierte sie auf die Terroranschläge auf Moscheen in Christchurch und den tödlichen Vulkanausbruch auf Whakaari (der Weißen Insel) mit Entschlossenheit und Mitgefühl.
Verringerung von Kinderarmut gesetzlich festgeschrieben
Während all dieser Zeit betonte sie in ihren Ansprachen die Bedeutung von Freundlichkeit und Hingabe für die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen – sowohl im Regierungsprozess als auch bei den erzielten Ergebnissen. Sie sorgte dafür, dass die Verringerung der Kinderarmut gesetzlich festgeschrieben wurde; sie hat ihren Finanzminister ermächtigt, die neuseeländischen Haushaltsausgaben auf Wohlbefinden statt auf traditionelle Wachstumszahlen auszurichten; und sie hat ihre Koalitionspartner dazu befähigt, politische Initiativen in der Regionalentwicklung und gegen den Klimawandel durchzusetzen.
Ursprünglich war viel von „Wandel“ die Rede. Doch Arderns Regierung hat die Sozialdemokratie für das 21. Jahrhundert nicht neu erfunden – durch die Einschränkungen einer Koalitionsregierung und das Bedürfnis, als haushaltspolitisch „verantwortungsvoll“ zu gelten, war dies nicht möglich. Stetig niedrige Werte beim unternehmerischen Vertrauen und ein konservativer Ansatz gegenüber dringend benötigten Verbesserungen bei Sozialleistungen und fairen Lohnvereinbarungen führten dazu, dass noch Anfang 2020 eine zweite Amtszeit der Regierung keineswegs ausgemacht schien.
Mit Entschlossenheit regieren und kommunizieren
Aber dann kam Covid-19, und Arderns frühere Erfahrungen beim Krisenmanagement zahlten sich aus – ebenso wie ihre angeborene Fähigkeit, mit ruhiger Entschlossenheit zu kommunizieren und zu regieren. So konnte sich dieses Land mit fünf Millionen Einwohner*innen um die Entscheidung seiner Regierung vereinen, sich abzuschotten und dann langsam und schrittweise zu einer Art Normalität zurückzukehren.
Die Nationalpartei hat ihre Führung ausgetauscht, um einige von Arderns Unterstützern zurückzugewinnen, allerdings ohne großen Erfolg. Die rechten Trolle machen in den sozialen Medien mit ihrer Anti-Ardern-Kampagne und ihren missgünstigen Hashtags weiter und lassen ihrem Erschrecken darüber freien Lauf, dass eine progressive junge Frau als Leuchtfeuer der Hoffnung gilt.
Erschienen am 18. Juni 2020 im IPG-Journal und wurde am 19. Januar 2023 aktualisiert.
ist Professorin und Direktorin des Public Policy Institute an der University of Auckland. Sie forscht zu australischer und neuseeländischer Politik, insbesondere zu Wahlpolitik, Public Policy, Frauen und Gender in der Politik sowie Sport und Politik.