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Neuer Tag, neues Jahr, neuer Frieden?

von Fariede Saberi · 17. Februar 2010
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Dam, dam, dam…", trommelt der Mann von dem Minarett der Moschee seines Viertels. Durch die Trommeln kündigt er den Jahreswechsel an. Man sieht, wie die Straßen von den Männern geschmückt werden. Eine Menschenmasse bewegt sich durch die Straßen und genießt den warmen Frühlingsduft. Auf dem Marktplatz des Viertels finden wie jedes Jahr ein Konzert und ein Theaterspiel statt. Während des Konzerts versammeln sich die Männer und tanzen gemeinsam den traditionellen Tanz "Attan". Die Parks sind voll von Familien, die zum Picknick gekommen sind.

Schon Tage vorher haben sich alle auf dieses Fest gefreut und Vorbereitungen dafür getroffen. Es beginnt mit diversen Vorfesten, Zeremonien und Musik. Vor dem Fest wird das Haus von oben bis unten blitzblank geputzt. Für die Essensvorbereitung treffen sich Frauen aus der Nachbarschaft und der Verwandtschaft und bereiten bestimmte Gerichte vor. Dieses Zusammentreffen ist Tradition, denn nur bestimmte Gerichte werden gemeinsam gekocht, sie sind für dieses Fest "reserviert". Alle werden an den Festvorbereitungen beteiligt, jeder findet eine Aufgabe. Das Gemeinschaftsgefühl ist stark, man schottet sich nicht von Nachbarn und dem Umfeld ab, sondern genießt das Zusammensein.

Der Tag Nauroz

Unter den Kindern des Hauses werden auch Aufgaben verteilt. Aus Bohnen sollen Pflanzen heranwachsen, viele hartgekochte Eier sollen mit viel Liebe bemalt werden. Und zum Schluss sollen sieben Sachen, deren Bezeichnungen mit dem Buchstaben S beginnen, gesammelt werden. Mit dem Buchstaben S wird die Farbe Rot (Sorch) in Verbindung gebracht. Meistens werden Dinge mit roter Farbe ausgesucht. Die rote Farbe steht für Gesundheit und Wohlbefinden. Diese Sammlung nennt man dann "Haftsin" (Sieben S).

Nach ausgiebigem Vorlauf toben die Kinder am Tag Nauroz (wörtlich: "Der neue Tag") durch das ganze Haus. Die Spannung ist groß, denn an diesem Tag kommt die Groß-Familie zusammen, eine Gelegenheit auch ansonsten weiter weg lebende Familiemitglieder zu sehen.

Der "Zufreh" (ein großes Tuch/liegt auf dem Boden) wird am Vortag gedeckt und alle Familienmitglieder versammeln sich darum. Darauf sind der heilige Koran, die Haftsin, die nun herangewachsene Pflanze aus Bohnen, die bemalten Eier, ein Spiegel, eine mit Wasser gefüllte Vase und die vielen verschiedenen Speisen platziert.

Einige dieser Dinge sind Symbole. Die Pflanze für ein neues Leben und einen Neuanfang. Mit Beginn des neuen Jahres soll die Chance für einen Neuanfang für jeden Menschen gegeben sein, um sein Leben nach eigener Wunschvorstellung zu leben. Die mit Wasser gefüllte Vase steht für Reinheit und Weisheit, die die Menschen in das neue Jahr begleiten sollen. Der Spiegel steht für Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit.

Zwei Wochen wird gefeiert

Wenn das Neujahr beginnt, erleuchtet ein großes Feuerwerk den Himmel. Alle gehen hinaus, um dies zu erleben. Nach dem Jahreswechsel beglückwünschen sich die Familienangehörigen zum neuen Jahr und verteilen untereinander Süßigkeiten. Dies ist Ausdruck der Hoffnung auf ein süßes Leben im neuen Jahr. Anschließend werden Geschenke verteilt.

Der Höhepunkt des Abends ist das "Ei-Spiel". Es beginnt damit, dass jedes Familienmitglied sich ein bemaltes Ei aussucht. Nun steht ein Duell zwischen jeweils zwei Personen an. Die Eier werden fest in der Hand mit der Spitze nach oben gehalten und aufeinandergestoßen. Die Eier werden mit der Spitze aufeinandergestoßen.

Das Neujahrsfest wird zwei Wochen lang gefeiert. Innerhalb dieser Wochen werden einzelne Verwandte besucht und zum neuen Jahr beglückwünscht. Eine Volksweisheit besagt, dass die letzten fünf Tag vor dem Nauroz den Toten gewidmet werden sollen. Die Toten werden an ihren Gräbern besucht und es wird ihrer gedacht. Somit verbindet sich Abschied und Neuanfang an diesen besonderen Tagen.

Obwohl man bei Afghanistan von einer Multikultur spricht, sind alle Völker trotz der religiösen, sprachlichen und ethnischen Unterschiede, in verschiedenen Provinzen und Städten, beim Feiern dieses Festes vereint. Sie feiern gemeinsam das Neujahr und teilen miteinander ihre Freude am Leben. Das einzige, was diese Freude am Leben derzeit erhält, ist die Hoffung auf eine friedliche und glückliche Zukunft. Die muss es vor allem für die heranwachsende Generation geben.

Eine Zukunft für die Jugend

Die heutige afghanische Jugend lebt in einer balancelosen Gesellschaft. Sie hat keine richtige Perspektive, Schulbesuch bleibt vielen weiterhin verwehrt, viele haben kein Zuhause und leben auf den Straßen. Einige arbeiten, um das Einkommen für die Familie aufzubessern. Die Afghanen überleben, mehr nicht.

Das neue Jahr sollte ihnen eine sicherere, planbare Zukunft schenken, ihnen mehr Boden unter die Füße bringen. Das kann das Land vor allem durch eine gebildete Jugend erreichen, damit nicht noch einmal aus Bildungsmangel eine neue Taliban-Welle entsteht.

Derzeit wird mehr Geld von den "Besatzern" für die Bombardements ausgegeben als für den Bau und Betrieb von Schulen. Das Land Afghanistan bekommt seit dem Einmarsch der Amerikaner 2002 Entwicklungshilfe, aber die Menschen selbst bekommen nichts. Die Entwicklungshilfe bedeutete leider bislang oft bloß die Anwesenheit ausländischer Truppen.

Die Ordnungsmächte des Landes werden unterstützt; ein afghanisches Militär wird aufgebaut, um das Volk zu schützen. Mehr als ein Versuch, die Sicherheitslage zu stabilisieren ist noch nicht erkennbar. Eine Zukunft muss sichtbar werden. Eine wirkliche Demokratisierung, die den Afghanen Souveränität schenkt, muss möglich werden. Es reicht nicht, die Aussicht zu haben, dass in unbestimmter Zeit die ausländischen Militärs abziehen und die Afghanen selbst für ihre Sicherheit sorgen können. Das Volk braucht erst Mal "Erste Hilfe".

Toleranz für kulturelle Unterschiede

Das Volk befindet sich seit dem Einmarsch der USA immer noch in Armut. Arbeitslosigkeit und Hungersnot entwickeln sich radikal weiter. Es fehlt schlichtweg die Garantie der Grundversorgung. Die Ausbildung von landeseigenen Sicherheitskräften ist zwar wichtig, doch die Kommunikation und Toleranz der ausländischen Truppeneinheiten für die kulturelle Identität der Afghanen wird vernachlässigt.

Nur wer sich klar macht, dass es in Afghanistan um die Schaffung eines sicheren, nicht von Gewalt dominierten Landes für die Afghanen und nicht um die "Verteidigung westlicher Werte am Hindukusch" geht, kann wirklich etwas bewirken. Man darf nicht versuchen, dem Land die eigene Demokratie überzustülpen und planlos zu agieren, wenn es darum geht, Terror einzudämmen, zu erkennen und zu verhindern. Wir dürfen keine Fehler (Zivilistenmorde durch fehlende Kenntnis der Lage bei Einsätzen des fremden Militärs zur Terrorverhinderung) mehr dulden, wenn es um Menschenleben geht.

Normalität in kleinem Rahmen

Um der heranwachsenden Generation eine sichere Zukunft anbieten zu können, müssen wir an der Toleranz vor allem für kulturelle Unterschiede arbeiten. Waffen bringen hier keinen Frieden. Damit können wir Menschen das "Böse" vielleicht vertreiben, Frieden kann jedoch nur durch Einsatz von Verstand, moralischem Denken, mitmenschlichem und empathischem Handeln entstehen.

Es wird also wieder mal die Frage gestellt, ob dieses anstehende Neujahr endlich einen Fortschritt für Frieden und Ansätze von Normalität in Afghanistan bringen wird. Gut zu wissen ist, dass die Afghanen sich ihre Traditionen, ihre Feste durch all die Komplikationen hindurch bewahren. Sie schaffen sich ihren persönlichen Frieden, ihre Normalität im kleinen Rahmen in der großen Ungewissheit.

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Autor*in
Fariede Saberi

Fariede Saberie (21) ist geboren in Herat (Afghanistan), 1997 mit den Eltern und dem jüngeren Bruder vor den Taliban über den Iran nach Hamburg geflohen, dort 2008 Abitur. Jetzt Studentin der Kunsttherapie an der FH Ottersberg,Nds.

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