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Neue EU-Kommission: „Frau von der Leyen hätte einige Kandidaten sofort zurückweisen müssen.“

Seit der vergangenen Woche muss sich die desginierte EU-Kommission den Fragen des Europaparlaments stellen. Zwei Kandidaten wurden bereits zurückgekzogen. Der Vorsitzende der SPD-Abgeordneten, Jens Geier, sieht weiteren Gesprächsbedarf.
von Kai Doering · 8. Oktober 2019
Jens Geier bei der Anhörung von Sylvie Goulard: offene Fragen bezüglich der Integrität
Jens Geier bei der Anhörung von Sylvie Goulard: offene Fragen bezüglich der Integrität

In der vergangenen Woche hat sich der Großteil der designierten EU-Kommissarinnen und -Kommissare dem Europäischen Parlament vorgestellt. Wer hat Sie bisher am meisten überzeugt?

Wir Abgeordnete haben uns natürlich entlang der Ausschussmitgliedschaft aufgeteilt, um an den Anhörungen teilzunehmen. Deshalb habe ich nicht alle Kandidatinnen und Kandidaten selbst erlebt. Ich habe an der Anhörung von Maroš Šefčovič teilgenommen, der der Kommission ja bisher schon angehört hat und sich künftig um die Beziehungen zum Parlament kümmern soll. Er war überzeugend. Viele Fragen sind dagegen bei der Anhörung von Sylvie Goulard offengeblieben, die ja künftig unter anderem für den Binnenmarkt zuständig sein soll. Und Kadri Simson, die Energiekommissarin werden soll, hat mich nur zum Teil überzeugen können. Sie war sichtlich sehr nervös , wirkt aber qualifiziert für die Aufgabe. Von den Kolleginnen und Kollegen habe ich gehört, dass auch Paolo Gentiloni als designierter Wirtschaftskommissar und Helena Dalli als designierte Gleichstellungskommissarin überzeugen konnten. Ziel der Hearings ist ja, herauszufinden, ob die vorgeschlagenen Personen der künftigen Aufgabe gewachsen sind. Diejenigen, die zuvor bereits in der Kommission vertreten waren, haben es da natürlich leichter.

Sylvie Goulard konnte nicht nur Sie, sondern einen Großteil der Abgeordneten nicht überzeugen und muss nun erstmal schriftlich weitere Fragen beantworten. Was ist bei der Anhörung offen geblieben?

Zunächst mal ist der Bereich, für den sie künftig als Kommissarin zuständig sein soll, aus Sicht vieler Abgeordneter viel zu groß. Neben der Industriepolitik, soll sie sich um den Binnenmarkt und die Audiovisuellen Dienste kümmern. Das sind Aufgaben, für die in der alten Kommission mehrere Kommissare zuständig waren. Bei der Anhörung ist auch deutlich geworden, dass sie von Audiovisuellen Medien nicht sonderlich viel Ahnung hat. Deshalb bin ich ziemlich sicher, dass sich am Zuschnitt des Ressorts bis zur Abstimmung über die Kommission auch noch etwas ändern wird. Hinzu kommen jedoch offene Fragen bezüglich Goulards Integrität. Gegen sie läuft zurzeit eine Ermittlung der EU-internen Antikorruptionsbehörde Olaf, weil sie Parteimitarbeiter über ihr Abgeordnetenbudget bezahlt haben soll. Obwohl sie das Geld zurückgezahlt hat, kann das nach französischem Recht als Straftat gewertet werden. Am klügsten wäre, abzuwarten, bis alle Vorwürfe geklärt sind und sie erst dann zur Kommissarin zu machen. Allerdings weiß niemand, wie lange sich die Ermittlungen hinziehen werden. Deshalb habe ich sie bei der Anhörung gefragt, ob sie von ihrer Kandidatur zurücktritt, wenn Anklage gegen sie erhoben wird. Leider hat sie darauf nicht eindeutig geantwortet.

Neben Sylvie Goulard steht auch Janusz Wojciechowski in der Kritik wegen finanzieller Ungereimtheiten. Die Kandidaten aus Ungarn und Rumänien wurden wegen ähnlicher Vorwürfe vom Justizausschuss gar nicht erst für die Anhörungen zugelassen und inzwischen von ihren Ländern zurückgezogen. Was ist der Grund für diese Häufung?

Ich habe den Eindruck, in diesem Punkt gibt es innerhalb Europas unterschiedliche Kulturen. Nicht, dass Korruption nicht überall strafbar wäre, aber in manchen Ländern ist die Öffentlichkeit von der Politik leider nichts anderes gewohnt. Das ist übrigens kein originäres Problem der osteuropäischen Staaten, wie gerne suggeriert wird. Auf europäischer Ebene dagegen sind die Maßstäbe andere und finanzielle Ungenauigkeiten werden von einer aufmerksamen Öffentlichkeit sehr genau wahrgenommen. Frau von der Leyen hätte da von Anfang an konsequenter sein und einige Kandidaten sofort zurückweisen müssen. Das rächt sich nun.

Dass Ungarn und Rumänien ihre Kandidaten zurückgezogen haben, war also eine richtige Entscheidung?

Ja, auf jeden Fall. Ich bin mir sicher, dass sie keine Chance gehabt hätten, EU-Kommissare zu werden.

Margaritis Schinas soll Kommissar für den „Schutz der europäischen Lebensweise“ werden. Was muss man sich darunter vorstellen?

Das frage ich mich auch. Welcher europäische Lebensstil soll hier vor wem geschützt werden? Das konnte mir bisher niemand beantworten, auch Herr Schinas nicht. Aus meiner Sicht ist diese Bezeichnung ein Augenzwinkern ins rechte Lager, das ich für sehr gefährlich halte. Im Programm der EVP für die Europawahl gab es ein Kapitel, das mit „Schützen, was Europa ausmacht“ überschrieben war. Das ist sicher kein Zufall.

Ist der 23. Oktober als Termin für die Bestätigung der Kommission trotz der noch offenen Fragen zu halten?

Das ist unsicher. Wenn Frau Goulard in eine zweite Anhörung muss, und einiges spricht dafür, dann wird es sehr eng. Zudem besteht noch Unklarheit über den neuen Vorschlag aus Rumänien. Das hat mit der innenpolitischen Lage dort zu tun, aber auch mit der Parität in der neuen Kommission.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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