Nationale Debatte: Macrons Besuch bei den Unzufriedenen
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron steht gehörig unter Druck. Egal, ob ihm die Verfassung der fünften Republik eine fast uneingeschränkte Macht zugesteht und er zudem über eine absolute Mehrheit im Parlament verfügt, die Bewegung der Gelbwesten hat ihm schwer zugesetzt. Wer geglaubt hatte, die Weihnachtspause und Macrons 10-Milliarden schwere Zugeständnisse würden die Lage schon entscheidend beruhigen, der musste sich an den ersten Januarwochenenden eines besseren belehren lassen. Die Antwort aus dem Präsidentenpalast auf die fortgesetzten Proteste in so ziemlich allen Städten und Gemeinden des Landes lautet: la grand débat – eine natioanale Debatte über die Zukunft Frankreichs.
Macrons Debattenauftakt im Nirgendwo
Im Élysee ist man ziemlich stolz darauf, ein solches Bürgerforum auf den Weg gebracht zu haben. Das sei ziemlich einmalig, heißt es, so etwas habe es weltweit so noch nicht gegeben. Am 15. Januar war die Auftaktveranstaltung im nordfranzösischen Povinzstädtchen Bourgtheroulde, 130 Kilometer nördlich von Paris, 3084 Einwohner. Eine Gemeinde, deren Namen bis gestern auch kaum ein Franzose kannte.
Hier beginnt am 15. Januar um 15 Uhr der Dialog zwischen Präsident und Bevölkerung. Ok, wenn man ehrlich ist, nur mit einem ausgewählten Teil der Bevölkerung, denm der Ort ist weiträumig abgesperrt. Sicherheitsgründe heißt es. Ab der Autobahnabfahrt, zehn Kilometer vor dem Ortseingang überall Polizei. Wer nach Bourtheroulde will, muss durch drei Fahrzeugkontrollen. Rein dürfen nur die Dorfbewohner, akkreditierte Journalisten und die 600 geladenen Bürgermeister aus den Départements des französischen Nordens. Alle anderen, insbesondere solche in Gelben Westen müssen leider draußen bleiben.
Macron muss gehen! Und dann? Egal.
Auf dem Dorfplatz vor der Kirche treffen die angereisten Journalisten auf rund 150 Gilets-Jaunes, die es trotz aller Sperren in den Ort geschafft haben. “Über die Felder”, sagt Dimitri, “wir kennen uns aus, wir sind ja von hier.” Bitter enttäuscht sind sie nicht nur von Macron, sondern von der Politik allgemein. “Alles dieselbe Mischpoke” findet Alexi, der sich selbst einen Linken nennt. Auf die Frage, wie es weitergehen soll, sagt er nur: “Macron muss gehen”. Nein, es gebe niemanden, der es besser könne, egal ob nun Mélonchon (Ultralinks) oder Le Pen (extreme Rechte), aber eines sei klar: “Macron muss gehen, das ist eine Systremfrage.” Und dann?, frage ich. “Egal.”
Die älteren Männer in der Bar nebenan sind zurückhaltender, wenigstens etwas: Macron könne bleiben, eben weil es niemand besseren gebe, aber die Nationalversammlung, die müsse aufgelöst werden. Und die Geldverschwendung solle beendet werden. Kein Thema beschäftigt die Gelbwesten so wie dies: 150.000 Euro habe die Präsidentengattin für neues Geschirr ausgegeben und 300.000 für Teppichboden. Wahnsinn, sagen sie, die für 2.000 Euro im Monat arbeiten. “Ihr in Deutschland seid da viel weiter”, erklärt Alexi, "bei euch muss der Mann von Frau Merkel sogar seine Flüge selbst bezahlen.”
Macron – gekommen, um zuzuhören
Derweil warten in einer Wellblechhalle, genannt Sportzentrum “Benedetti”, 600 geladene Bürgermeister auf den Präsidenten. Fast alle tragen die blau-weiß-roter Schärpe, als Zeichen ihrer Amtswürde. Die Stimmung: höfliche Anspannung. “Man muss doch reden miteinander: Reden, keine Gewalt”, sagt der maghrebinischstämmige Bürgermeister der 900 Seelengemeinde Gauciel im schweren, nordfranzösischen Dialekt.
Macron klingt in seinem Auftaktstatement wenig später ganz ähnlich: “Wir müssen die Gewalt zurückweisen. Gewalt hat noch nie eine Lösung gebracht”, sagt er. Und dann: “Ich bin gekommen um Ihnen zuzuhören.” Macron erklärt: “Es gibt in Frankreich schon seit langem einen sozialen Bruch, einen Bruch zwischen Stadt und Land, einen demokratischen Bruch. Lassen Sie uns gemeinsam nach Lösungen für Frankreich suchen”. Wie schon in seinem offenen Brief an alle Französinnen und Franzosen gibt er dabein vier Themenbereiche vor: Steuern (welche sind zu senken), staatliche Strukturen (welche sind einzusparen), ökologischer Umbau (wieviel ist nötig) und Demokratie (wie kann mehr Beteiligung organisiert werden).
Es bleiben viele Widersprüche
Zur Wahrheit gehört: Nichts anderes fordern auch die Gilets-Jaunes. Aber dass Macron das kaum anders sieht als Protestierer, kommt bei denen überhaupt nicht an, vielleicht schon deshalb nicht, weil sie weder eingeladen sind, noch zugelassen werden. Deshalb glauben sie auch nicht, wenn Macron erklärt: “Es darf in der Diskussion keine Tabus geben. Sagen Sie mir offen, was Sie auf dem Herzen und in den Köpfen haben."
Aber auch die wenigsten Bürgermeister gehören Macrons Partei an. Sie lassen sich daher nicht zweimal bitten: “Herr Präsident, welche Antwort geben Sie den Kommunen, damit wir uns alle ernst genommen fühlen (können)?”, fragt als erstes Laurance Bussière und Jean-Paul Legendre ergänzt: “Halten Sie die Maschinerie an, die Bürgernähe kleinhäckselt”. Valéry Beuriot aus Brionne verweist auf den Widerspruch in Macrons Aussagen, es solle keine Tabus geben, aber die Abschaffung der Vermögenssteuer werde bleiben: “Diesen Widerspruch müssen sie auflösen.”
Den Ernst der Lage verstanden
Eineinhalb Stunden hört Macron zu, notiert sich harsche Kritik und konkrete Vorschläge, um dann in seiner (ersten) Antwort penibel alle angesprochenen Themen abzuarbeiten. Er weiß, wer ihm welche Forderung aufgetragen hat, wendet sich in seiner Antwort jeweils direkt an die Person. Die Kommunen sollen eigenständiger, staatliche Zwischenebenen abgeschafft werden, erklärt er. Selbst die Vermögenssteuer könne überprüft werden, aber es solle sich doch bitte niemand der Illusion hingeben, auch nur einem einzigen Gilet-Jaune ginge es besser, wenn die wieder eingeführt werde. Um echte Gleicheit herzustellen bräuchtee Frankreich bessere Schulen, die Teilhabe an Kultur und sozialen Serviceleistungen. Darum gehe es. “Meine Devise”, saget der Präsident, “lautet seit jeher: Ich werde niemanden im Regen stehen lassen”. Am Ende bekommt er mehr Beifall als zur höflichen Begrüßung.
In den kommenden sechs Wochen bis zum 15. März der soll es weitergehen mit der nationalen Debatte. Alle Franzosen sollen vor Ort oder per E-Mail und Internet teilnehmen können. Vierzig Prozent wollen das laut einer Umfrage auch unbedingt tun.
Macron nimmt sich an diesem ersten Abend jedenfalls Zeit für eine zweite Runde. Man kann ihm nicht nachsagen, er habe den Ernst der Situation nicht verstanden. Ob das reicht, um die vielen Enttäuschten zurückzugewinnen, darf bezweifelt werden. Denn wie er an diesem Januarabend in Bourgtheroulde selbst sagt, dauert es oft “sehr lange,zu lange” bis beschlossene Verbesserungen wirklich bei den Betroffenen ankommen. Klar ist aber auch, Macron will kämpfen.