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Nach der Bundestagswahl: Internationale Presse sieht Merkel als angeschlagen an

Viele internationale Pressestimmen machen Angela Merkel für den Aufstieg der AfD verantwortlich. Zugleich sei der CDU-Wahlsieg in Wirklichkeit ein Rückschlag für Merkel, sagen einige. Der SPD könnte aus Sicht ausländischer Beobachter künftig eine Schlüsselrolle zukommen.
von Paul Starzmann · 24. September 2017
Ein getrübter Sieg: Die internationale Presse sieht schwierige Zeiten auf Bundeskanzlerin Angela Merkel zukommen.
Ein getrübter Sieg: Die internationale Presse sieht schwierige Zeiten auf Bundeskanzlerin Angela Merkel zukommen.

In den deutschen Nachrichten gibt es am Sonntagabend selbstverständlich nur ein einziges Thema: das Ergebnis der Bundestagswahl. In der internationalen Presse hingegen schlägt die deutsche Wahl keine sonderlich hohen Wellen, das Ergebnis ist lediglich eine Meldung unter vielen. Zugleich sehen schon jetzt viele internationale Kommentatoren schwierige Zeiten auf die deutsche Politik zukommen.

CNN: Merkel droht Machtkampf in der CDU

Besonders Angela Merkel muss sich warm anziehen, wenn die Analysen einiger ausländischer Journalisten stimmen. Vor allem in der eigenen Partei könnte die CDU-Chefin bald viel Kritik entgegenschlagen, glaubt die Deutschland-Korrespondentin von CNN: „Merkels größte politische Herausforderung wird es sein, die Balance zu halten“, schreibt die amerikanische Journalistin Atika Shubert. „Zwischen dem linken Flügel und den Konservativen in der CDU, die die Kontrolle zurückhaben wollen, nachdem sie Stimmen an die rechtsextreme AfD verloren haben.“

Für den Aufstieg der AfD macht der britische „Guardian“ die Bundeskanzlerin persönlich verantwortlich. „Merkel gewinnt vierte Amtszeit, aber lässt die AfD hinzugewinnen“, lautet die Schlagzeile der linksliberalen Zeitung aus London. Die französische „Le Monde“ titelt: „Ein Sieg in gebrochenen Farbtönen für Angela Merkel“.

Merkel hat einen „sehr miesen Abend“

Was zunächst aussehe wie ein CDU-Wahlsieg, sei in Wirklichkeit ein herber Rückschlag für Merkel, findet der Journalist Jeremy Cliffe, Chef der Berliner Redaktion der britischen Wochenzeitung „The Economist“: Das Wahlergebnis beschreibt er als „sehr miesen Abend für Angela Merkel – fast eine Niederlage –, der sie innenpolitisch bedeutend geschwächt zurücklässt“.

Der österreichische „Standard“ sieht Merkel ebenfalls angeschlagen. Ihre Politik des „Weiter so“ sei nach den Verlusten für die CDU nicht mehr möglich, heißt es einem Kommentar der Zeitung aus Wien. Denn: „Merkel und die Union wurden ziemlich kräftig gerupft.“ Im Wahlkampf sei Merkel hauptsächlich damit beschäftigt gewesen, „die wirtschaftlichen Erfolge aufzuzählen“. Ein Fehler, der den Einzug der AfD zu Folge gehabt habe. Nun sei es im neuen Bundestag umso schwieriger, eine Koalition zu bilden.

NYT: Koalitionsverhandlungen werden mühevoll

Auch nach der Einschätzung der Nachrichtenagentur Reuters steht Merkel vor schwierigen Koalitionsverhandlungen. „Sie muss nun eine Koalitionsregierung formen, ein anstrengender Prozess, der Monate dauern könnte, da alle potentiellen Partner unsicher sind, ob sie mit ihr die Macht aufteilen wollen“, heißt es in der Reuters-Meldung über Merkel. Die „New York Times“ sieht das genauso: Das Leben der Kanzlerin werde von nun an „wesentlich komplizierter“ – mit „Wochen mühevoller Verhandlungen“.

Dass Merkel Kanzlerin bleibt, wurde von vielen erwartet. Der Einzug der AfD ist für viele Menschen in Deutschland jedoch ein Schock. In der ausländischen Presse sorgt das Abschneiden der Rechtspopulisten allerdings für weniger Aufregung. So kommentiert der „Guardian“, es sei jetzt „wichtig, nicht überzureagieren“. Natürlich sei der Aufstieg der Rechtspopulisten besorgniserregend. Aber die AfD sei zwar von nun an im Bundestag vertreten, jedoch nicht in der Regierung. „Sie wird eine Anomalie bleiben – wenn auch eine laute, widerliche.“ Auf die deutsche Gesetzgebung werde sie keinen Einfluss haben, ist sich der „Guardian“ sicher.

SPD kommt wichtige Rolle im Kampf gegen AfD zu

Die „Jerusalem Post“ hingegen macht die Warnung jüdischer Organisationen vor der AfD zum Titelthema. Die Zeitung aus Israel greift die Aussagen des Zentralrats der Juden sowie des Europäischen Jüdischen Kongresses auf, die beide den Einzug der AfD in den Bundestag mit großer Sorge sehen. Auch die linke türkischen Zeitung „BirGün“ weist auf den rechtspopulistischen Charakter der AfD hin und berichtet über spontane Anti-AfD-Demonstrationen am Wahlabend in Berlin.

Die SPD findet als zweitstärkste Kraft in der internationalen Presse relativ wenig Erwähnung. Der Blick der ausländischen Medien richtet sich meist auf Merkel und – in einem geringeren Umfang – auf den Neueinzug der AfD.

Bei CNN jedoch wird den Sozialdemokraten bereits jetzt eine Schlüsselrolle im zukünftigen Bundestag zugesprochen. Die Ankündigung der SPD, von nun an in die Opposition zu gehen, werde einen ganz bestimmten Effekt haben, erwartet die CNN-Reporterin Atika Shubert: Mit der SPD als Oppositionsführerin im Bundestag könnten die Rechtspopulisten der AfD von nun an die „Konversation nicht ganz so effektiv dominieren“.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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