Nach dem Treffen in Brüssel: „Erdogans Erpressungsversuche fruchten erstmal nicht“
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Für viele überraschend ist der türkische Präsident Erdogan am Montagabend für zwei Stunden nach Brüssel gereist, um über die Flüchtlingssituation zu sprechen. Wem hat dieser Besuch genutzt?
Ein Dialog ist zunächst einmal immer besser als Konfrontation oder sogar Erpressungsversuche. Für kommende Woche ist ein Treffen mit Erdogan, Merkel und Macron in Istanbul angekündigt. Ein drittes Gespräch Erdogans mit EU-Spitzen innerhalb einer Woche darf als Signal der Entspannung gewertet werden. Erdogans Erpressungsversuche fruchten erstmal nicht: Die EU-Kommission hat Erdogan bisher weder mehr finanzielle Mittel in Aussicht gestellt, noch eine erweiterte Zollunion mit der EU oder türkischen Visa-Erleichterungen. Aber auch Erdogan hat den EU-Spitzen während der Treffen bisher keine Zusagen gemacht.
Konkret vereinbart wurde nichts. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sollen nun klären, ob und wie das Flüchtlingsabkommen weiter bestehen kann. Was ist dabei aus Sicht der SPD wichtig?
Das Europäische Parlament hatte bereits im Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Deal ausdrücklich davor gewarnt, dass Flüchtlinge damit als politische Verhandlungsmasse missbraucht werden. An einer belastbaren europäischen Lösung führt mittelfristig kein Weg vorbei. Eine europäische Lösung zur fairen Flüchtlingsverteilung hat das Europäische Parlament 2017 mit Mehrheit gefunden. Seit mehreren Jahren blockieren jedoch einige EU-Mitgliedstaaten jeglichen Fortschritt. Flüchtlingsbewegungen sind keine nationale Herausforderung für Griechenland oder andere EU-Grenzstaaten allein, sondern eine europäische Verantwortung. So muss das Problem auch behandelt werden. Zudem muss eine weitere Eskalation des Krieges in Syrien zwischen dem von Russland unterstützten Assad-Regime und dem NATO-Mitglied Türkei vermieden werden, damit nicht immer mehr Menschen in die Notlage kommen zu fliehen.
Von allen Seiten heißt es, die EU dürfe sich von Erdogan nicht erpressen lassen. Wo ist die Grenze?
Klar muss sein: Die Hilfsgelder der EU im Rahmen des Flüchtlingsdeal dürfen auch weiterhin nur in von der EU genehmigte und überwachte Hilfsprojekte fließen. Zudem zahlt die EU erst, wenn ein Projekt fertig, also etwa ein Krankenhaus gebaut ist. Das ist auch richtig so. Es kann zudem keine Visafreiheit in der EU für die Türkei geben, solange jährlich Tausende Türken politisches Asyl beantragen müssen, um Erdogans Verhaftungswellen seit dem Putsch gegen ihn zu entgehen. Und: Erdogan kann die EU genau dann nicht mehr unter Druck setzen, wenn die EU-Mitgliedstaaten sich an der Lösung des Europäischen Parlaments orientieren und sich auf eine EU-Asylreform und eine Flüchtlingsverteilung einigen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.