Nach dem Brexit: Jetzt kommt es auf Europas Jugend an
Eine knappe Woche ist das Brexit-Referendum nun her und so langsam lässt die Katerstimmung nach. Der Gehirnnebel verzieht sich, klares Denken ist wieder möglich. Wie so viele andere Europäer war ich wütend über die Entscheidung der Briten – ich bin es noch. Mal wieder fühlt es sich so an, als hätten die Alten über die Zukunft der Jungen abgestimmt: Von den 18- bis 24-Jährigen stimmten laut „YouGov“ 75 Prozent für den Verbleib in der EU, bei den 25- bis 49-Jährigen waren es dann nur noch 56 Prozent. Menschen über 65 stimmten nur noch zu 39 Prozent für eine Zukunft Großbritanniens in der EU.
Die Jungen sind die Leidtragenden des Brexits
Junge Menschen sind diejenigen, die mit dem Ergebnis des Referendums am längsten leben müssen, die seine Auswirkungen am deutlichsten spüren: Bye bye, Freizügigkeit, bye bye EU-Fördergelder für britische Forschung, bye bye einfach mal schnell im Ausland studieren. Einem britischen Bekannten von mir ist es jetzt schon nahezu unmöglich, mit seiner amerikanischen Frau in Großbritannien zu leben – dank absurder Auflagen wie der, dass er signifikant mehr als den Mindestlohn verdienen muss, damit sie einreisen darf. Nach dem Brexit dürfte ein gemeinsames Leben für die beiden in Großbritannien gar nicht mehr möglich sein.
Ja, durch den Brexit steht die Zukunft junger Menschen auf dem Spiel. Allerdings ist mittlerweile auch klar: Daran sind die jungen Menschen selbst gar nicht so unschuldig. Nur 36 Prozent der 18- bis 24-Jährigen machten laut „Sky Data“ überhaupt ihr Kreuzchen. Ob es am Wetter lag, am gleichzeitig stattfindenden „Glastonbury Festival“, am mangelnden Interesse – egal. Tatsache ist: Viele junge Briten blieben lieber zu Hause, als über die Zukunft ihres Landes abzustimmen. So einfach, so frustrierend.
Zahlen vs. Leidenschaft
Das „Brexit“-Lager hat auch deshalb gewonnen, weil es eine inspirierende Erzählung bot. Die Erzählung von einem Land, das sich endlich seine Souveränität zurückholt. Von Menschen, die frei sein wollen. Das „Remain“-Lager hatte dem nur Zahlen entgegenzusetzen: Lasst uns in der EU bleiben, das ist viel besser für die Wirtschaft! Inspiration sieht anders aus. Dabei hätten gerade junge Menschen in Großbritannien einen hoffnungsvollen, positiven Narrativ anbieten können.
Sie sind mit den Vorteilen der EU aufgewachsen, sie studieren und arbeiten im Ausland. Für sie ist Europa in den meisten Fällen nicht das Bürokratiemonster EU, sondern ein Synonym für Möglichkeiten, Freiheiten. Nur: Im Wahlkampf hat ihnen das Remain-Lager rund um Premierminister David Cameron keine Stimme gegeben. Cameron trat lieber der Dating-App „Tinder“ bei, um junge Menschen zu erreichen, statt denen vielleicht einfach mal zuzuhören und ihren Geschichten Platz einzuräumen.
Die Jungen haben nicht gekämpft
Vielleicht waren die jungen Leute aber auch zu still. Vielleicht sind die EU und all die Vorteile, die sie mit sich bringt, zu selbstverständlich geworden. Sie sind etwas, das man gerne hinnimmt – für das zu kämpfen der Aufwand aber zu groß ist. Junge Leute hätten den Ausgang des Referendums entscheidend beeinflussen können. Sie taten es nicht. Der Brexit ist, so wie es momentan aussieht, beschlossene Sache. Die EU ist mehr denn je gespalten, Marine Le Pen und Co werden ihre separatistischen Vorhaben nun umso entschlossener vorantreiben.
Das Brexit-Referendum ist vorbei, aber auch in Zukunft werden wichtige Entscheidungen über die Zukunft der EU anstehen. Für junge Europäer, für mich und andere, sollte spätestens jetzt klar sein: Wir müssen den Mund aufmachen. Wir müssen laut sein, fordernd. Wir müssen uns mobilisieren und dem technokratischen Narrativ der Politik unseren eigenen entgegensetzen. Wir müssen darauf drängen, ernst genommen zu werden – das kann aber nur klappen, wenn wir unser eigenes Potenzial auch endlich ernst nehmen.