Nach Amoklauf in Florida: Kippt die Macht der US-Waffenlobby?
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Emma González war vor kurzem nur wenigen Menschen bekannt. Inzwischen hat die 18 Jahre alte Amerikanerin rund 1,15 Millionen Follower auf Twitter. Sie ist buchstäblich über Nacht zu einer Heldin geworden. González ist eine Überlebende des Schulmassakers an der Stoneman Douglas High School im Süden Floridas, bei dem Mitte Februar 17 Menschen getötet und 14 verletzt wurden.
„Bullshit“: Kampfansage an die Waffenlobby
Drei Tage nach dem Amoklauf nahm die Schülerin an einer Demonstration für ein schärferes Waffenrecht teil. Dort hielt sie eine emotionale Rede, mit der sie in kürzester Zeit weltweit bekannt wurde. Es war ein Plädoyer für eine Einschränkung des Waffenbesitzes in den USA. Ihre Worte waren aber auch eine Kampfansage – an die Waffenlobby, die Regierung um Präsident Donald Trump, die amerikanische Gesellschaft.
„Die Leute in der Regierung, die an die Macht gewählt wurden, belügen uns“, rief González ins Mikrofon. „Und wir Kids scheinen die einzigen zu sein, die das bemerken.“ Ihre Kritik richtete sich vor allem gegen die enge Verzahnung zwischen konservativen Politikern und der Waffenlobby, der mächtigen „National Rifle Association“ (NRA). Die liefert nach jedem Schulmassaker die gleiche Antwort: Nicht Pistolen und Gewehre seien für die Toten verantwortlich, sondern die Menschen am Abzug. Deshalb bestehe kein Bedarf für schärfere Gesetze. González nennt solche Argumente „BS“, kurz für „Bullshit“.
Landesweiter Schülerstreik geplant
Wenn es nach jungen Menschen wie González geht, wird die NRA bald eine Menge Gegenwind bekommen. Überall in den USA formieren sich derzeit Proteste gegen das laxe amerikanische Waffengesetz, das selbst den Besitz von Sturmgewehren als Grundrecht erlaubt. Am 14. März soll es einen landesweiten „School Walkout“ geben: Junge Leute wollen dabei aus Protest gegen die Untätigkeit der Regierung ihre Klassenzimmer räumen. Am 24. März soll eine Großdemonstration in Washington stattfinden, daneben 50 Kundgebungen im ganzen Land.
Dass junge Menschen schärfere Waffengesetze fordern, ist nicht neu – aktuell werden sie jedoch mehr gehört als je zuvor. „Der Kampf der Teenager für Waffenkontrolle ist großartig und inspirierend“, schreibt der amerikanische Kolumnist Lincoln Anthony Blades. „Aber vergesst nicht, dass dies genau das ist, was junge schwarze Aktivisten schon lange tun.“ In der Tat fordert auch die „Black Lives Matter“-Bewegung, die seit 2013 gegen rassistische Polizeigewalt protestiert, eine Reform des US-Waffenrechts.
Waffen-Gegner erhalten Rückenwind
Von schärferen Waffengesetzen wollen Konservative in Amerika aber bislang nichts wissen. Für Trump ist „Black Lives Matter“ ohnehin nur ein Haufen „Schläger“. Nach dem jüngsten Schulmassaker in Florida gab der Präsident dann auch eine Parole aus, die direkt aus der Feder der Waffenlobby NRA hätte stammen können: Er schlug vor, Lehrer mit Pistolen auszurüsten, um zukünftige Amokläufe zu verhindern. Die NRA propagiert diese Idee seit Jahren.
Nun scheint die Macht der Waffenlobbyisten jedoch langsam zu bröckeln. Ihre Gegner erhalten nach der Schießerei in Florida plötzlich Rückenwind – nicht nur im Netz, wo die Schülerin Emma González als das neue Gesicht der Anti-Waffen-Bewegung gefeiert wird und inzwischen fast doppelt so viele Twitter-Fans hat wie die NRA. Inzwischen kündigen immer mehr Firmen die Zusammenarbeit mit der NRA auf. So geben etwa viele Hotelketten NRA-Mitgliedern keine Rabatte mehr wie früher üblich.
Trump auf Distanz zur Waffenlobby
Auch Trump scheint plötzlich auf Distanz zu den Waffenherstellern zu gehen. Der Präsident sendete diese Woche „viele gemischte Signale“ in Sachen Waffenrecht, berichtet die „Washington Post“. Nach dem Vorschlag zur Bewaffnung von Lehrern sprach er sich plötzlich dafür aus, Bürger bei Gefahr im Verzug zu entwaffnen – ein Tabubruch in konservativen Kreisen, die so etwas für verfassungsfeindlich halten.
Seine Parteifreunde von den Republikanern trauten ihren Ohren nicht. War der Präsident bisher doch nicht als Waffenkritiker aufgefallen. Im Gegenteil: Die NRA hatte seinen Wahlkampf 2016 mit mehr als 30 Millionen Dollar unterstützt. Generell bleibt fraglich, ob Trump bei seiner aktuellen NRA-kritischen Position bleiben wird – oder diese bald wieder ändert, wie es bei ihm so oft geschieht.
„Schämt euch!“
Für die Schülerin Emma González spielt das keine Rolle – sie vertraut ohnehin nicht darauf, dass die Regierung von sich aus etwas ändern wird. Die Jungen müssten das selbst in die Hand nehmen, forderte sie bei ihrer Rede in Florida – und sendete eine Botschaft an die Mächtigen im Land: „An alle Politiker, die Spenden von der NRA annehmen: Schämt euch!“
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.