Arroganz und Inkompetenz der Moslembrüder führten zu ihrem Sturz. Die Ägypter wollten keine Islamisierung auf Biegen und Brechen, sie wollen Freiheit und Arbeitsplätze. Eine Herkulesaufgabe für die neue Regierung. Denn das Militär bleibt Staat im Staate.
Hysterisch gelacht haben soll er, als die drei Offiziere der Republikanischen Garde ihn über seine Absetzung informierten. „Das ist ein Staatsstreich“, habe Mohamed Mursi gebrüllt und sich weiter in unkontrollieten Lachkrämpfen geschüttelt: „Ich kann es nicht glauben!“ Das war am 3. Juli. Seine Assistentin Bakinam al Sharkawi brach in Tränen aus, schrie die Offiziere an. Das zumindest berichtet die saudische Zeitung Asharq al Awsat. Ihre Informationen will sie von Soldaten der Republikanischen Garde haben. Weder Mohamed Mursi noch seine rund zwanzig Mitarbeiter, die sich mit ihm zusammen in seinem Büro im Präsidentenpalast aufhielten, hatten offensichtlich mit dem Staatsstreich gerechnet. Dabei hatte es Warnungen genug gegeben, seit Tagen: Massendemonstrationen gegen den Präsidenten, Ultimaten des Verteidigungsministers al Sissi, Rücktrittforderungen der Opposition, selbst die Salafisten hatten das sinkende Schiff der Moslembrüder verlassen. Offenbar hatten Mursi und seine Berater die Stärke der Straße und die Macht des Militärs völlig unter- und die Möglichkeiten der Moslembrüder katastrophal überschätzt.
Die Wirtschaft stürzte ab, die Menschen verarmten
Und diese Selbstüberschätzung hat mit zu Mursis Versagen geführt. Mursi und seinem Murshid, - das ist der Titel des obersten Moslembruders Mohamed Badie - war es offensichtlich wichtiger, die eigene politische Agenda durchzusetzen als auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen, also lieber die ägyptische Gesellschaft zu islamisieren als Arbeitsplätze zu schaffen. Die Moscheen blühten auf, die Wirtschaft stürzte ab, immer mehr Menschen verarmten, Touristen blieben ohnehin aus, genauso ausländische Investoren.
Mursi aber blieb dabei: die Ägypter haben uns gewählt, also sollen sie auch das wollen, was wir wollen, nämlich mehr Islam in allen Lebenslagen. So oder ähnlich mag die Führungsspitze im maktab al-irshad, dem undurchsichtigen Führungsbüro der Moslembrüder gedacht haben. Bis heute ist nicht klar, wie viel Einfluss dieses Leitungsgremium auf die Regierung Mursi gehabt hat in dem einen Jahr. Manche Kritiker in Ägypten sagen sogar, Mursi war eine Marionette seines Murshid. Wahrscheinlich übertrieben. Aber eines hatten sie gemeinsamen. Sie wollten eine islamistische Staatsordnung für Ägypten. Auf Biegen und Brechen. Und sie waren auf dem besten Weg sie auch durchzusetzen.
Statt Respekt und Würde gab es neue Vorschriften
Die Ägypter aber wollen etwas ganz anderes, sie wollen Brot und Bohnen auf den Tisch und bezahlbares Benzin im Tank, stattdessen bekamen sie Stromausfälle, Benzinknappheit und steigende Lebensmittelpreise. Sie wollen Würde und Respekt und nicht neue Vorschriften, wie sie zu leben haben. Auch deswegen sind sie wieder auf die Straße gegangen, haben Unterschriften gesammelt und den Rücktritt Mursis gefordert. Dessen Politik lässt sich mit einem einzigen Begriff beschreiben. Es war eine Politik der Inkompetenz, die Ägypten in ein Desaster gestürzt hat.
Es wäre aber falsch, in den Generälen nun Heilsbringer und Demokratieretter zu sehen, wie es offensichtlich viele Ägypter tun. Die Offiziere haben zwar zum Jahrestag des Amtsantritts von Mursi Bilanz gezogen, ihre Endabrechnung kam aber nicht zu dem Ergebnis „zu wenig Demokratie“. Unter dem Schlussstrich stand vielmehr „zu wenig Gewinn“. Das ägyptische Militär ist nämlich einer der größte Arbeitgeber des Landes mit Zementfabriken, Autobahnen, Hotelketten, Ölmühlen und noch vielem mehr. Eine allgemeine Wirtschaftskrise macht natürlich auch vor Kasernentoren nicht halt. Die Generäle sahen ihre Pfründe bedroht und da kam ihnen der kleine Volksaufstand der Tamarod-Bewegung gerade recht. Die unzufriedenen Jungrebellen gegen Wirtschaftskrise und Islamistenideologie lieferten unfreiwillig eine demokratische Kulisse für einen nicht demokratisch gemeinten Staatsstreich.
Militärs wollen die Macht behalten
Dass die Rebellen begeistert den Panzern zujubelten, ist eines der großen Missverständnisse dieser Tage. Kein Offizier ist je für die Übergriffe des Militärs gegen Demonstranten in den Jahren 2011 und 2012 bestraft worden. Den Generälen geht es um ihre Vorrechte und Pfründe. Sie wollen Staat im Staat bleiben, so wie sie es seit der Nasser-Revolution sind. Kein Parlament soll sie kontrollieren. Auch die neue Verfassung wird vermutlich daran nichts ändern.
Wer immer in den nächsten Jahren das Land regiert, hat viele Hindernisse zu bewältigen. Zwei davon sind: er muss sich mit den Moslembrüdern aussöhnen und sie in die Politik einbinden. Er muss Arbeitsplätze schaffen und den Ägyptern eine Zukunft bieten. Eine Herkulesaufgabe. Hinzu kommt: er hat ständig das Militär im Nacken, ein Staatsstreich wie am 3. Juli kann sich jederzeit wiederholen. Schließlich war es der tiefe Staat, der an jenem Mittwoch gehandelt hatte, nicht die Demokratiebewegung, auch wenn die recht dekorativ auf der rechten und linken Seite des Verteidigungsministers saß, als dieser die Absetzung des Präsidenten verkündete. Vielleicht hat deswegen Mursi so hysterisch gelacht.
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