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"Mursi hat viel Vertrauen verspielt"

von Carl-Friedrich Höck · 7. Februar 2013

Für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik beobachtet Sarah Hartmann die Entwicklung in Ägypten. Im Interview mit dem vorwärts erklärt sie, warum es auch zwei Jahre nach der Revolution immer wieder zu Protesten kommt und weshalb manche Demonstranten auch vor Gewalt nicht mehr zurückschrecken.

Zwei Jahre nach dem Sturz Husni Mubaraks wird in Ägypten wieder täglich demonstriert. Wer sind die Oppositionellen, die gegen den Präsidenten Mursi auf die Straße gehen?

Zu den Protesten aufgerufen hat zum einen die Nationale Heilsfront um den Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei. Darin sind die Vertreter liberaler, säkularer und linker Oppositionsparteien organisiert. Ganz wichtig sind aber auch die jungen Revolutionäre der ersten Stunde. Sie sind extrem frustriert und enttäuscht, dass sie in den vergangenen zwei Jahren überhaupt nicht in den politischen Prozess einbezogen wurden. Sie haben den Eindruck, es habe sich nichts zum Besseren geändert. Jetzt kämpfen sie weiter für mehr Demokratie, damit die über 800 Menschen, die bisher bei Protesten ihr Leben gelassen haben, nicht umsonst gestorben sind.

Anlass für die jüngsten Unruhen waren die Todesurteile gegen Fußballfans aus Port Said. Welche Rolle spielen die Fußballfans bei den Protesten?

Die „Ultras“, also die besonders engagierten und teils auch gewaltbereiten Fußballfans, haben von Anfang an eine große Rolle gespielt. Sie waren in der Revolution bereit, an vorderster Front zu kämpfen und sich den Sicherheitskräften entgegen zu stellen.

Die aktuellen Proteste sind zum Teil eine Reaktion auf die 21 Todesurteile nach dem Spiel zwischen Al Masry aus Port Said und Al Ahly aus Kairo vor einem Jahr. Damals haben Fans von Al Masry die Kairoer Anhänger angegriffen. Dabei sind 74 Menschen gestorben. Die Al Masry-Anhänger denken nun, dass die Urteile politisch motiviert waren, um die Fans aus Kairo zu beruhigen. Sie halten die Verurteilten für Bauernopfer. Die Proteste in Kairo, Alexandria und anderen Städten richteten sich jedoch generell gegen die Politik Mohamed Mursis und die Dominanz der Muslimbrüder, gegen ausbleibende demokratische Reformen und anhaltende Menschenrechtsverletzungen.

Vor zwei Jahren erreichten uns Bilder von friedlichen Demonstranten, die einem gewalttätigen Regime ausgesetzt waren. Jetzt geht die Gewalt teilweise von beiden Seiten aus. Woran liegt das?

Es sind natürlich nicht alle Demonstranten gewaltbereit. Neu ist das Phänomen des Schwarzen Blocks: einer kleinen Gruppe gewaltbereiter Menschen, die viel mediale Aufmerksamkeit erhält. Sie sind der Meinung, dass sie im Kampf gegen die Muslimbrüder mit friedlichen Mitteln nicht mehr weiter kommen und orientieren sich an den Schwarzen Blöcken, die es auch in Europa gibt.

Aber die Stimmung hat sich auch grundsätzlich verändert. Von dem ursprünglichen Optimismus und der Euphorie der Revolutionäre ist nicht mehr viel zu spüren. Sie konnten Mubarak mit friedlichen Mitteln absetzen, doch jetzt sind sie frustriert, dass es immer noch Polizeigewalt, Folter und tote Demonstranten gibt. Dadurch ist die Stimmung angespannter und aggressiver geworden.

Am Rande der Demonstrationen hört man immer wieder von Menschenmobs, die Frauen attackieren und vergewaltigen. Warum werden gerade Frauen zur Zielscheibe?

Das ist eine traurige Entwicklung. Während der Revolution 2011 war ja gerade das Bemerkenswerte, dass es diese Übergriffe gegen Frauen nicht gab. Denn sexuelle Belästigung ist in Ägypten seit langer Zeit alltäglich und wird nur selten bestraft. Auch schon vor der Revolution wurden Frauen deshalb immer wieder gewarnt, sich in größere Menschenmengen zu begeben, zum Beispiel an Feiertagen. In den vergangenen Tagen hat diese Gewalt aber eine neue Dimension angenommen. Deshalb spekulieren viele, dass Vergewaltigungen gezielt als Mittel benutzt werden, Frauen von Demonstrationen abzuhalten. Was wirklich dahinter steckt, lässt sich aber nur mutmaßen. Wenigstens ist dieses Thema jetzt in den Medien zunehmend präsent, sodass sich die Gesellschaft endlich einmal damit beschäftigt.

Das Land kommt auch zwei Jahre nach der Revolution nicht zur Ruhe. Ist die Vision eines friedlichen, demokratischen Ägyptens in absehbarer Zeit überhaupt noch zu erreichen?

Die Stimmung im Land ist in den vergangenen zwei Jahren leider viel pessimistischer geworden. Bis jetzt hat sich nicht viel zum Besseren verändert. Aber es gibt viele Menschen, die fest entschlossen sind, sich nicht noch einmal unterdrücken zu lassen. Man muss hoffen, dass die Gesellschaft sich nicht weiter aufspaltet. Dazu müssen sich die verschiedenen Gruppen an einen Tisch setzen. Wichtig ist, dass die Parlamentswahlen tatsächlich bald stattfinden können und nicht boykottiert werden. Dazu muss jedoch auch Mursi auf die Opposition zugehen und ernsthafte Zugeständnisse machen.

Kann man Mursi diesen versöhnenden Weg noch zutrauen?

Inzwischen hat er viel Vertrauen verspielt. Das fing im November an, als er sich selbst mit Dekreten enorme Vollmachten gewährt hat. Da haben viele Menschen das Gefühl bekommen, dass er sich als neuer Diktator etablieren will. Dann hat er im Dezember die neue Verfassung durchgepeitscht, ohne die Opposition und die Minderheiten zu beteiligen. Und jetzt werden wieder Proteste mit Gewalt niedergeschlagen. Das bestätigt alle, die in Mursi einen neuen Mubarak mit islamistischem Antlitz sehen.

In der vergangenen Woche war Mursi zu Gast in Berlin. Was kann Deutschland tun, um Ägypten auf dem Weg in eine stabile Demokratie zu unterstützen?

Deutschland tut ja schon einiges, zum Beispiel durch die Transformationspartnerschaft und die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Projekten. Außerdem kann Deutschland versuchen, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit wenigstens die schwierige wirtschaftliche Situation in Ägypten zu verbessern. Und natürlich sollten die Politiker auf die Einhaltung der Menschenrechte und auf demokratische Reformen pochen. Viel mehr kann Deutschland nicht machen, und das wird von den Ägyptern auch nicht gewünscht. Die Ägypter sind stolz darauf, ihre Revolution aus eigener Kraft geschafft zu haben. Europa und die USA haben auch nicht den besten Ruf, weil sie lange treu an der Seite von Mubarak gestanden haben. Wenn Deutschland jetzt eingreift und einzelne Gruppen unterstützt, kann denen das sogar schaden, denn der Vorwurf ausländischer Einflussnahme wird häufig erhoben, um diese Gruppen zu diskreditieren.

Sarah Hartmann ist Programmleiterin des EU-Middle East Forums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Das Interview führte Carl-Friedrich Höck.

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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