Nadeshda Tolokonnikowa – Wochenlang gab es kein Lebenszeichen von der inhaftierten Pussy-Riot-Musikerin. Der Staat macht ihre Gefängnishaft immer mehr zur Tortur.
Nichts Genaues war nicht bekannt seit mehr als drei Wochen. Die Pussy-Riot-Musikerin Nadeshda Tolokonnikowa sollte in ein anderes Straflager nach Sibirien verlegt worden sein. Einen direkten Kontakt hatte ihr Ehemann Pjotr Wersilow sechs Wochen nicht zu ihr. Am 14. November dann, konnte er zum ersten Mal wieder mit seiner Frau telefonieren und hat sich sogleich auf den Weg nach Sibirien gemacht. Die im August vergangenen Jahres zu zwei Jahren Lagerhaft wegen „Rowdytums“ verurteilte 23-Jährige wurde zunächst im 500 km von Moskau entfernten Straflager IK–14 in Mordwinien untergebracht. „Ich erkenne meine Schuld nicht an, und ich werde sie auch niemals anerkennen,“ erklärte sie. Sie werde bis zum Ende gegen ihre Verurteilung kämpfen und ihren Fall wenn nötig vor den obersten Gerichtshof des Landes bringen. Sie habe Prinzipien und werde diese verteidigen. Sie protestierte gegen die Haftbedingungen in ihrem bisherigen Straflager. Begehrte gegen sie auf.
Übergriffe vom Wachpersonal
Weder das bisherige Lager noch die zuständigen russischen Behörden gaben zunächst irgendeine Auskunft über ihren Gesundheitszustand, über die Haftbedingungen oder über die Verlegung. Ihr Ehemann teilte lediglich mit, sie sei auf dem Weg in das sibirische Straflager Nummer 50 in der Stadt Nischni Ingasch nahe an der Transsibirischen Eisenbahn, 300 km von Krasnojarsk entfernt. Ihre Anwältin Irina Chrunowa hat unterdessen auch einen Brief ihrer Mandantin erhalten, die auf dem Weg vom Straflager IK–14 in Mordwinien nach Krasnojarsk verschwunden war. Nichts Ungewöhnliches in Russland.
Mehrfach hatte sich Nadeshda Tolokonnikowa über die Übergriffe von Mitgefangenen und Wachpersonal beklagt. Am 23. September trat sie in einen Hungerstreik. „Das ist eine extreme Maßnahme”, schrieb sie und fuhr fort: „Ich will das Schweigen beenden. Ich will nicht länger zuschauen, wie meine Mithäftlinge unter diesen sehr schrecklichen Bedingungen zusammenbrechen. Ich verlange, dass im Straflager von Mordwinien geltende Gesetze beachtet werden. Ich will, dass wir wie Menschen behandelt werden. Nicht wie Sklaven.“ Mit diesem offenen Brief protestierte sie gegen die Zustände im Lager.
Zustände wie im sowjetischen Gulag
Die Mutter einer kleinen Tochter beschrieb, wie die Insassen um ihren Schlaf gebracht wurden, 17 Stunden pro Tag arbeiten müssen. Von halb acht Uhr morgens bis halb eins in der Nacht. Die hygienischen Bedingungen sind erbarmungswürdig. Sie klagte: Ein Justizbeamter habe sie mit dem Tod bedroht. Es sei wie im sowjetischen Gulag. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich deutlich. Nach sechs Tagen wurde sie in das Krankenhaus des Straflagers verlegt. Ein paar Tage später kehrte sie aus der Klinik zurück und nahm ihren Hungerstreik wieder auf. Am 18. Oktober teilten die russischen Strafbehörden mit: Nadeshda Tolokonnikowa wird ihre zweijährige Haftstrafe bis zum März nächsten Jahres wegen ihrer „Beschwerden über Drohungen von Mitgefangenen und Wärtern“ in einem anderen Straflager verbringen müssen.
Ihre Verwandten, allen voran ihr Mann Pjotr Wersilow, hatten Angst es könnte ihr etwas passiert sein, nachdem es mehr als drei Wochen kein Lebenszeichen von ihr gegeben hatte. Er glaubt, die russische Behörden wollten seine Frau mit einem Kontaktverbot bestrafen, weil sie die Haftbedingungen kritisiert und zweimal in einen Hungerstreik getreten war. Mehr als ein Jahr, nachdem sie mit Ihren beiden Mitstreiterinnen aus der Pussy – Riot –Gruppe wegen des so genannten Punk – Gebets in der Moskauer Christ – Erlöser – Kirche wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“ gegen weltweiten Protest zum zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden war.
Nadeshda Tolokonnikowa hatte in ihrem Schlusswort unter anderem kritisiert: „Dies ist eine Verhandlung über das gesamte Staatssystem…, das zu seinem eigenen Unglück in seiner Grausamkeit gegen Menschen, seiner Gleichgültigkeit gegenüber Ehre und Würde, so gern das Schlimmste zitiert, was in der russischen Geschichte je geschehen ist. Die Imitation eines Gerichtsverfahrens kommt dem Muster der ‚Gerichtstroiken‘ der Stalinzeit nahe.“
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).