Mordfall Boris Nemzow: Wie die Spur nach Tschetschenien führte
Eine Nacht im Februar 2015: Russlands prominentester Oppositionspolitiker Boris Nemzow befindet sich auf dem Nachhauseweg zu seiner Moskauer Wohnung, begleitet wird er von seiner jungen Freundin. Gemeinsam nehmen sie den Weg über die Große-Moskwa-Brücke, direkt neben dem Kreml gelegen, als über eine Seitentreppe ein Mann auftaucht. Fünf Mal schießt er Nemzow in den Rücken. Er stirbt noch auf der Brücke.
Suche nach den Drahtziehern
Zwei Jahre später hat ein Gericht jetzt den Hauptangeklagten zu 20 Jahren Haft verurteilt. Saur Dadajew soll die tödlichen Schüsse abgegeben haben. Außerdem erhielten vier weitere Männer – allesamt aus den Teilrepubliken Tschetschenien und Inguschetien – Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Sie sollen Dadajew unterstützt und die Tat vorbereitet haben. Der Auftraggeber des Mordes ist laut Behörden flüchtig.
Bereits kurz nach Nemzows Tod gab es Gerüchte, wer die Drahtzieher sein könnten. Manche Oppositionspolitiker vermuteten Wladimir Putin hinter der Tat. Andere verdächtigten nationalistische Gruppen, die sich selbstständig gemacht haben könnten. Gleichfalls kamen Vermutungen auf, dass die Spur nach Tschetschenien und damit in das Umfeld von Staatsoberhaupt Ramsan Kadyrow führt.
T-Shirts mit Putin-Konterfei
Der Mord an Putin-Kritiker Nemzow löste Empörung im Kreml aus, das berichtete die Zeitung Novaya Gazeta im vergangenen Jahr. Immerhin geschah die Exekution im Herzen Moskaus, in unmittelbarer Nähe zu den Kremlmauern und zur berühmten Basilius-Kathedrale. Spione innerhalb der tschetschenischen Führung sollen laut der Zeitung schließlich die entscheidenden Hinweise in Richtung Kaukasus gegeben haben.
Kadyrow führt die Teilrepublik mit eiserner Hand. Er gilt als Statthalter Putins. Mit seinen Sicherheitsorganen sorgt er dafür, dass die Region nicht abtrünnig wird. Immerhin hatte Russland in der Vergangenheit zwei blutige Kriege in der Teilrepublik geführt. Im Gegenzug für seine Treue - bei öffentlichen Auftritten trägt das Staatsoberhaupt gerne T-Shirts mit dem Konterfei des Kremlchefs - erhält Kadyrow freie Hand. Allerdings, so heißt es, lässt er sich zum Ärger der Sicherheitsbehörden in Moskau kaum noch kontrollieren.
Wirtschaftsliberaler Reformer
Der Fall Nemzow habe das Fass zum Überlaufen gebracht, so die Novaya Gazeta. Die russischen Staatsbehörden hätten daraufhin Sondereinheiten nach Tschetschenien geschickt, um die Verdächtigen festzunehmen. Unter ihnen befand sich der Hauptangeklagte Saur Dadajew, einst stellvertretender Kommandeur eines Bataillons des Innenministeriums. Auch die anderen Verurteilten hatten Verbindungen zu den tschetschenischen Sicherheitsbehörden.
Boris Nemzow war die prominenteste Gestalt der russischen Opposition. In der Öffentlichkeit punktete er mit seinem Charme. Er besaß aber auch Regierungserfahrung: Der Physiker war einst unter Boris Jelzin Vize-Premierminister und galt als wirtschaftsliberaler Reformer. Mit der Wirtschaftskrise 1998 endete seine politische Karriere. Später wurde er zum schärfsten Widersacher Wladimir Putins. Die Feindschaft ging offenbar soweit, dass er in einem seiner letzten Interviews sagte, er fürchte, dass „Putin mich umbringen will.“ Nemzow kritisierte die allgegenwärtige Korruption sowie Russlands Politik in der Ukraine.
Erinnerungsort auf der Brücke
Wie es um das Verhältnis zwischen Boris Nemzow und dem Staatsapparat auch nach seinem Tod bestellt ist, lässt sich vielleicht am besten anhand des Tatorts zeigen. Seit den Geschehnissen im Februar 2015 legen immer wieder Unterstützer und Freunde Blumen an der Stelle nieder, an der der 55-Jährige erschossen wurde. In regelmäßigen Abständen tauchen Reinigungstrupps auf, die überfallartig alle Spuren beseitigen.