Mögliches Mitte-Rechts-Bündnis: Droht die „Orbánisierung Österreichs“?
Nur wenige Tage vor der Nationalratswahl wird die SPÖ von einem Skandal erschüttert. Ihr Berater Tal Silberstein soll mit gefälschten Facebook-Seiten eine „Schmutzkübelkampagne“ gegen die Konkurrenz von der ÖVP betrieben haben. Hat die SPÖ damit ihre Chancen bei der Wahl endgültig verspielt?
Das ist sicher so etwas wie ein Wahlkampf-Super-GAU für die SPÖ. Gleichzeitig würde ich nicht sagen, dass sie ihre Chancen zu 100 Prozent verspielt hat. Es gibt auch einige Verdachtsmomente, dass ÖVP-Unterstützer fast den gesamten Datenverkehr der SPÖ gehackt haben: jede Wahlkampfvorbereitung, die Kommunikation des Bundeskanzlers usw. Das wurde dann häppchenweise an die Medien weitergegeben. In den Augen der Wähler gibt es dadurch jetzt die Ansicht: „Die sind doch eh alle schmutzig!“ Für die Wahl heißt das: Jetzt ist wieder alles in Bewegung, weil viele entschlossene Wähler in das Unentschlossenen-Lager wechseln. Alles ist theoretisch möglich, aber die wahrscheinlichste Variante ist natürlich, dass die SPÖ durch diesen Skandal deutlich verliert.
Vor wenigen Monaten galt Bundeskanzler Christian Kern als Hoffnungsträger der SPÖ. Dann hat ihn plötzlich ÖVP-Chef Sebastian Kurz in den Umfragen meilenweit überholt. Wie konnte es zu so einem rasanten Abstieg des SPÖ-Chefs kommen?
Christian Kern hat sehr stark begonnen als eine charismatische Figur – eine Figur mit einer Erneuerungsbotschaft, wie eine Mischung aus Obama und Sanders für Österreich. Die Irritationen begannen allerdings mit der Einstellung von Beratern wie Tal Silberstein. Auf einmal wurde Kern als „übercoacht“ angesehen mit völlig neuen Botschaften, die so überziseliert waren, das sich weder die eine noch die andere Seite an ihnen reiben konnten. Am Ende war dann überhaupt keine Botschaft mehr übrig. Kern hat hier sicher einen gewissen Mangel an Personalführung gezeigt. Also keine straffe, gut organisierte sozialdemokratische Kampagne. So konnte sich dann einer von außen wie Silberstein breitmachen. Die Gefahren, die von solchen Consultants ausgehen, wurden offensichtlich nicht erkannt.
Der 31-jährige ÖVP-Chef Sebastian Kurz gilt als unangefochtener Favorit im Rennen ums Kanzleramt. Im Wahlkampf hat er sich durch rechtspopulistische Töne hervorgetan. In Zukunft will er mit der FPÖ regieren. Wie weit nach rechts würde Österreich damit rücken?
Sebastian Kurz hat den Wahlkampf im Wesentlichen mit einem Anti-Migrationsthema bestritten. Die Idee war: Man positioniert Kurz so wie Haider, nur ohne Hetze. Auf der anderen Seite haben wir die klassisch rechtspopulistische FPÖ, die aber im Wahlkampf in die Mitte gerückt ist, nachdem ihr die ÖVP das Kernthema weggenommen hat. Ihr Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache hat in einer Art Relaunch versucht, sich als staatstragend und sehr ruhig zu inszenieren. Wenn jetzt die ÖVP, eine konservative Partei der rechten Mitte, die sie immer noch ist, mit einer noch rechteren FPÖ regieren würde, dann wäre das natürlich trotzdem ein Weg in die Orbánisierung Österreichs. Allerdings ist Sebastian Kurz ein sehr geschickter Mensch. Gut möglich, dass er nach der Wahl in eine vollkommen andere Richtung steuert. Er will ein Politiker sein, der auch innerhalb des Konzerts der Europäischen Union ein respektierter Player der gemäßigten Christdemokratie ist – und nicht im Schmutzwinkel gemeinsam mit Ungarn und Polen steht. Eine Regierung aus ÖVP und FPÖ würde sich also wahrscheinlich irgendwo zwischen dem westeuropäischen Mainstream und Polen bewegen.
Selbst SPÖ-Chef Christian Kern schließt eine Koalition mit den Rechtspopulisten nicht mehr aus. Ist das Wahlkampfgeplänkel oder steckt da mehr dahinter?
Das Ausschließen einer Koalition mit der FPÖ hat die moralische Position der SPÖ immer gestärkt, ja, zementiert. Andererseits hat man sich dadurch koalitionstaktisch total behindert: Bei nur zwei möglichen Koalitionspartnern war die SPÖ dadurch immer der ÖVP ausgeliefert. Aus diesem Dilemma wollte die Sozialdemokratie raus. Und sie wollte eine Strategie finden, die FPÖ-Wähler wieder zurückzuholen. Doch damit hat sich die SPÖ in ein anderes Dilemma manövriert. Sie braucht immer die Botschaft zu sagen „Wir sind das Bollwerk gegen den Rechtspopulismus“. Plötzlich hat sie diese Botschaft aber aufgeweicht. Das hat der SPÖ sicher nicht gutgetan.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.