Menschenrechtspreis 2016: Die Macht der Männer überwinden
Der Krieg in Kolumbien dauert bereits über ein halbes Jahrhundert. Einen Konflikt niedriger und mittlerer Intensität nennen das Experten. In Zahlen: Seit den 1950er Jahren hat die Gewalt mindestens 220.000 Tote gefordert, fast sechs Millionen Menschen sind auf der Flucht. Vor allem Frauen geraten immer wieder zwischen die Fronten von Regierungstruppen, den linken FARC-Rebellen und rechten Paramilitärs. Oft werden sie Opfer sexualisierter Gewalt. Demütigung durch Vergewaltigungen zählt zu den Machtinstrumenten der Konfliktparteien.
„Frauen sind nicht für den Krieg da!“
Marina Gallego und ihre Mitstreiterinnen von „La Ruta Pacífica de las Mujeres“ (zu deutsch: Der friedliche Weg der Frauen) wollten nicht länger Opfer sein in dem jahrelangen Konflikt. Vor 20 Jahren formierte sich in der kolumbianischen Stadt Mutatá erstmals der friedliche Protest. 2000 Frauen gingen für ihre Forderung auf die Straße: Waffenruhe – wenigstens über Weihnachten.
„Wir gebären keine Kinder für den Krieg“, riefen die Frauen und stellten sich zwischen die Fronten. Den massiven Drohungen der Männer wichen sie nicht aus, sie zeigten, „dass Frauen keineswegs wehrlos sind“, wie die SPD-Politikerin Edelgard Bulmahn, die Laudatorin beim diesjährigen Menschenrechtspreis, in Berlin sagt.
Nachhaltiger Frieden für Kolumbien
„Der Friedensprozess endet nicht mit dem Friedensvertrag“, erklärt Frank Schwabe, menschrechtspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Auch die Preisträgerin Marina Gallego wünscht sich „historische Geduld“. Nachhaltiger Frieden sei „durch die Kraft der Menschen“ zu schaffen. Kurt Beck, Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung, hofft ebenfalls auf die „Dauerhaftigkeit“ des Friedens und wünscht sich eine Kontrolle gegen „Rückfälligkeiten“ in die Gewaltspirale.
Die Überprüfung der Verhandlungsergebnisse in den derzeitigen Bemühungen für ein friedliches Kolumbien ist das zentrale Anliegen von „La Ruta“. Ihre Organisation habe es geschafft, geschlechterspezifische Perspektiven in die Friedensverhandlungen einzubringen, sagt Gallego. Zwei Frauen sitzen inzwischen mit am Verhandlungstisch, sie kümmern sich um Gender-Themen und Frauenrechte, schärfen den Blick für die Opfer sexueller Gewalt und wollen diesen eine „neue Würde geben“. Dazu gehört deren medizinische Versorgung, um die körperlichen und psychischen Folgen der Misshandlungen zu lindern. Aber auch der Zugang zu Land und Bildung. „Ich bin optimistisch, dass der Friedensprozess einen qualitativen Fortschritt bringt“, so Gallego.
Wenn Männer „aus Liebe“ töten
Noch immer gibt es trotzdem eine lange Liste an Veränderungen, die sich die Aktivistinnen von „La Ruta Pacífica“ wünschen. Die Medien in Kolumbien seien „patriarchal“ geprägt, kritisiert Gallego. Nach Tötungsdelikten werde oft berichtet, ein Mann habe eine Frau „aus Liebe“ ermordet. Die Arbeit von „La Ruta“ würde in der Presse wenig gewürdigt, klagt Gallego. Lieber berichteten die Medien über Gewalt. Hier sei „noch sehr viel zu tun“, vor allem in pädagogischer Hinsicht.
Zu lernen gebe es viel von den Frauen, die sich bei „La Ruta“ engagieren, waren sich die Teilnehmer an der Verleihung des Menschenrechtspreises einig. Die Aktivistinnen zeigten, dass „Gewalt kein Naturschicksal ist“, findet Edelgard Bulmahn. Die genderspezifischen Ansätze von „La Ruta“ lieferten „Impulse, die wir dringend brauchen“, erklärt Frank Schwabe.
Friedensvertrag noch dieses Jahr
Nach über 50 Jahren wird die Unterzeichnung des Friedensvertrags noch für dieses Jahr erwartet. Dieses Abkommen gelte es in Zukunft zu „verteidigen“, fordert Gallego. Mut, Solidarität und originelle Protestformen führten zu diesem Erfolg – ein Erfolg der Frauen und nicht der „bewaffneten Männer“, wie Edelgard Bulmahn betont.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.