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Menschenrechte: Fünf Gründe, warum die SPD auf ein Lieferkettengesetz drängt

Schon im Koalitionsvertrag haben Union und SPD die Einführung eines Lieferkettengesetzes vereinbart. Doch Teile der CDU um Wirtschaftsminister Peter Altmaier sträuben sich bislang. Fünf Gründe, warum die SPD nun auf eine Einführung drängt.
von Jonas Jordan · 9. September 2020
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Noch immer gibt es keine Einigung beim geplanten Lieferkettengesetz. In dieser Woche kommen Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zusammen, um auf Ministerebene darüber zu beraten, wie der Schutz von Menschenrechten durch gesetzliche Regelungen zum Standard in deutschen Unternehmen werden kann. Dabei gibt es drei Knackpunkte, bei denen Union und SPD noch nicht zueinander finden konnten:

1. Ab wann soll das Gesetz gelten?

Die von Arbeitsminister Hubertus Heil eingebrachten Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz sehen vor, dass in Deutschland ansässige Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten künftig dazu verpflichtet werden, ihrer Verantwortung in den Liefer- und Wertschöpfungsketten nachzukommen. In der Union gibt es Stimmen, die befürworten, dass ein solches Gesetz – ähnlich wie in Frankreich – erst ab 5.000 Beschäftigten gelten solle. Expert*innen zufolge beträfe es dann allerdings lediglich 180 deutsche Unternehmen.

2. Soll das Gesetz einklagbar sein?

„Haftung ist für die Sozialdemokratie beim Lieferkettengesetz zentral“, legt sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil am Mittwoch bei einer Veranstaltung der SPD-Fraktion fest. Tatsächlich ist dies bislang eine Streitfrage zwischen Union und SPD. Allerdings käme ein Lieferkettengesetz ohne juristische Haftung wohl dem bislang gültigen Prinzip der Freiwilligkeit gleich. Heil sagt daher: „Es sollte auch zivilrechtliche Konsequenzen haben. Sonst läuft das Ganze leer.“

3. Für welche Ebene sollen Unternehmen haftbar gemacht werden?

Unklar ist bislang, ob das Lieferkettengesetz Unternehmen nur für jeweils eine Ebene niedriger haftbar machen soll oder die Haftung für alle Produktionsschritte gelten soll, vom Abbau der Rohstoffe bis zum fertigen Produkt. Frank Zach, Referatsleiter für Wirtschaft und Menschenrechte beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), sagt: „Wenn ich etwas gegen Kinderarmut tun will, kann ich mich nicht nur mit der ersten Zulieferstufe beschäftigen.“

Bei allen drei Punkten ist die Position der SPD eindeutig. Vor den Verhandlungen mit den beiden Unionsministern verspricht Hubertus Heil: „Ich kann nicht versprechen, dass wir zu 100 Prozent alles durchbekommen werden, aber unter 70 mache ich es nicht.“ Was lange vereinbart ist, soll nun auch Gesetz werden. Dafür gibt es aus Sicht der SPD gute Gründe:

I.  Der Zeitdruck

Das Lieferkettengesetz sei etwas, das ihm und seiner Fraktion besonders am Herzen liege, sagt Rolf Mützenich am Mittwoch. „Wir hätten es gerne schon in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen“, sagt der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag außerdem. An wem es lag, dass dies nicht klappte, ist klar: an der Union. Auch jetzt gibt es Stimmen aus den Reihen der CDU/CSU, die gerne noch eine Entscheidung auf europäischer Ebene im Frühjahr 2021 abwarten möchten. Doch dann wäre das Zeitfenster, um ein Lieferkettengesetz noch vor der Bundestagswahl einzuführen, wohl zu klein. Eine weitere Legislaturperiode wäre vertan.

II. Deutschlands Vorbildfunktion in Europa

„Wir wollen in Europa mit gutem Beispiel vorangehen und Maßstäbe setzen, um andere zu überzeugen, die aktuell noch skeptisch sind“, sagt Hubertus Heil. Deutschland habe bei diesem Thema bereits viele Mitgliedsstaaten wie Italien, Spanien, Frankreich, Portugal, die Niederlande oder die skandinavischen Länder an seiner Seite. Doch es gelte, auch andere Staaten in Ost- und Mitteleuropa zu überzeugen und im Jahr der EU-Ratspräsidentschaft mit gutem Beispiel voranzugehen, ehe die Kommission im Frühjahr 2021 eine Vorgabe mache. Ähnlich sieht das die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Bärbel Kofler (SPD): „Es geht darum, ein gutes Beispiel und ein gutes Miteinander für Europa liefern. Wir müssen national handeln und in Europa vorangehen.“

III. Wettbewerbsgleichheit für Unternehmen

Der entwicklungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Sascha Raabe berichtet von Gesprächen mit Unternehmensvertreter*innen über ein mögliches Lieferkettengesetz, in denen diese zahlreiche freiwillige Regelungen zur Einhaltung der Menschenrechte anführten. „Ich habe ihnen gesagt, dass das, was sie sowieso schon machen, dann für alle Unternehmen gelten und somit gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen sollen“, führt er aus. Er betont zudem: „Wir müssen den ehrbaren Kaufmann schützen und dem Ausbeuter das Handwerk legen. Das ist nur möglich, wenn wir die schwarzen Schafe sanktionieren.“

IV. Freiwillige Regelungen sind nicht wirksam

Die von den Unternehmen stets propagierten freiwilligen Regelungen reichen nicht aus, um Menschenrechte wirksam zu schützen. Lediglich 17 Prozent der Unternehmen seien bereits „freiwillig dabei“, sagt die Menschensrechtsbeauftragte der Bundesregierung Bärbel Kofler. Daher brauche es klare Regeln und Standards. „Es geht um elementare Menschenrechte. Die sind nicht verhandelbar“, so Kofler.

V. Deutschland trägt Verantwortung

Die Debatte um ein mögliches Lieferkettengesetz sei gekennzeichnet von „besonderen Katastrophen, die wir in der Arbeitswelt in den vergangenen Jahren erlebt haben“, sagt Hubertus Heil. Der Arbeitsminister meint beispielsweise den Brand einer Fabrik in Pakistan 2012, bei dem mehr als 250 Menschen starben. In der Fabrik wurden vor allem Kleider für den Billig-Textilhändler kik produziert. Der Brandschutz im Gebäude war mangelhaft. Mit einem Lieferkettengesetz sollen deutsche Unternehmen auch für solche Zustände in die Haftung genommen werden. 

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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