Andreas Deutinger hat für die UNO Meinungen von Jugendlichen gesammelt. Im Interview mit vorwärts.de erzählt er von spannenden Begegnungen und davon, was junge Menschen bewegt.
Sie sind bis vor wenigen Tagen einer von zwei deutschen UN-Jugenddelegierten gewesen. Was muss man sich darunter vorstellen?
UN-Jugenddelegierte sind das Sprachrohr der Jugendlichen des Landes, das sie vertreten. In Deutschland sind das etwa 22 Millionen. Wir bringen ihre Sichtweisen in die Verhandlungen der Vereinten Nationen ein, als offizielles Mitglied der deutschen Delegation bei der UN-Generalversammlung. Wir sprechen dabei nicht für die Bundesregierung, sondern vertreten die Jugendperspektive. Um ein möglichst breites Spektrum an Meinungen zu bekommen, versuchen wir vor der Versammlung mit möglichst vielen Jugendlichen in Kontakt zu kommen. Dafür sind wir im vergangenen Jahr quer durch Deutschland gereist.
Und was bewegt Deutschlands Jugend?
Das mit Abstand häufigste Thema war Migration und das Zusammenleben der Kulturen. In unterschiedlichen Facetten ist es immer wieder während unserer Tour aufgetaucht. Die Forderung dabei ist klar: Nach Ansicht der Jugendlichen sollte die deutsche Gesellschaft offener sein. Ein zweites Themenfeld war der Bereich der nachhaltigen Entwicklung. Wir haben über fairen Handel diskutiert, den Klimawandel und die Globalisierung. Und schließlich war die politische Beteiligung von Jugendlichen immer wieder Thema.
Worum ging es da konkret?
Die Jugendlichen wollen vor allem mehr Verbindlichkeit und Wertschätzung. Häufig fühlen sie sich und ihre Bedürfnisse von der Politik nicht ernst genommen. Gerade die kommunale Ebene würde hier viele Chancen bieten. Leider beschränken sich dort politische Beteiligungsmöglichkeiten allerdings oft auf Alibi-Projekte. Überhaupt haben Jugendliche häufig das Gefühl, eigentlich nur dann wahrgenommen zu werden, wenn sie Probleme verursachen.
Decken sich die Erfahrungen mit den Eindrücken aus anderen Ländern?
Zum Teil schon. Manche Themen, wie zum Beispiel Bildung, werden in fast allen Ländern diskutiert. In Spanien oder Marokko spielt auch das Thema Jugendarbeitslosigkeit eine große Rolle. In Deutschland ist das zurzeit nicht die größte Sorge. Manche Probleme wirken auch ähnlich, stellen sich aber bei näherem Hinsehen als sehr unterschiedlich heraus. Die südkoreanische Delegation etwa hat in ihrem Statement den Ansatz der Jugendpartizipation sehr gelobt. Aber sie verstehen unter dem Begriff etwas komplett anderes. Uns geht es um politische Mitbestimmung – sie meinen Schüleraustausche und Planspiele.
Hat dieses sehr intensive Jahr Ihre Sicht auf die eigene Generation verändert?
Interessant finde ich vor allem, wie vielfältig und unterschiedlich meine Generation ist. Ich habe auch eine deutliche Distanz zwischen verschiedenen Gruppen wahrgenommen. Beispielsweise ist Jugendlichen auf dem Gymnasium oft überhaupt nicht bewusst, in welcher Situation ihre Altersgenossen auf der Hauptschule sind. Es gibt einfach kaum Kontakt zwischen ihnen. Politikverdrossen sind Jugendliche dagegen überhaupt nicht. Jugendliche interessieren sich sehr für Politik. Aber ihnen fehlt das Vertrauen, dass Probleme auf den üblichen Wegen adäquat gelöst werden können. Sie sind unzufrieden mit dem politischen System und seinen Repräsentanten. Protestformen oder soziale Bewegungen sind da für sie attraktiver.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.