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Martine Aubry gewinnt, Segolene Royal greift an

von Lutz Hermann · 24. November 2008
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Nun muss sich das höchste Organ der PS zwischen den Parteitagen, der Parteirat, mit der sich vertiefenden Krise bei den Linken beschäftigen. Dienstagabend prüft das Gremium die Richtigkeit der Auszählung in den 2300 Wahlorten. Ob in den mächtigen Landesverbänden des Nordens manipuliert wurde, wo Martine Aubry ihre Hochburg hat, wird sich zeigen. Aber die Angriffe aus dem Royal-Lager vergiften das Klima der ohnehin seit Jahren führungslos dahindümpelnden Sozialistischen Partei.

Linke Ausrichtung gewählt

Die 58 Jahre alte Tochter des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors, zugleich Bürgermeisterin der Industriestadt Lille, führt künftig die große Oppositionspartei an. Sie steht für eine klare linke Ausrichtung der Partei. Sie will Wahlbündnisse mit Kräften des linken Spektrums suchen. Sie unterstützt ihre Rivalin nur dort, wo es um Geschlossenheit und Einheit der Partei geht: Querelen und persönliche Rivalitäten müssten umgehend eingestellt werden!. Ob ihre eher burschikose Arbeitsmethode zur Beruhigung der PS beiträgt, muss man abwarten.

Segolene Royal hatte sich schon als Siegerin gefühlt. In der 1. Abstimmungsrunde hatte sie 43 Prozent der Stimmen erhalten, Aubry 34, der dritte Anwärter, der Europaabgeordnete Benoit Hamon, 23 Prozent. Da auch er für die PS ein deutlich linkes Selbstverständnis fordert, war klar, dass er seine Parteigänger zur Wahl der ehemaligen Arbeitsministerin aufrufen würde.

Royals innerparteiliche Fehler

Dabei war Royals politisches Programm keineswegs umstritten: Ausbau und Modernisierung der PS zu einer großen Volkspartei unter Einschluss vieler jugendlicher Kräfte, Öffnung zur Mitte und Wahlallianzen mit Mittelparteien. Royal gilt als "bürgernah" und verfügt als Regionlpräsidentin von Poitou-Charentes über hervorragende regionale Kenntnisse. Doch hatte sie die ärgerliche Angewohnheit, die Granden der Partei zu ignorieren. In ihrem Wahlkampf zur Präsidentschaft im Frühjahr 2007 durften die "Elefanten" nicht auftreten. Royal wollte den personellen Neuanfang. Als Folge wandten sich einflussreiche Ex-Premierminister wie Pierre Mauroy, Michel Rocard, Laurent Fabius und Lionel Jospin von ihr ab - eine fatale Distanz wenn nicht sogar Spaltung in einer Partei, die politische Kameradschaft sehr hoch bewertet.

Die Wahl Aubrys kann auch eine Vorentscheidung für die Präsidentenwahl im Jahre 2012 sein. Sie ist die erste Frau an der Spitze der PS. Sie hatte als Arbeits- und Sozialministerin in der Regierung von Lionel Jospin (1998-2000) die 35-Stunden-Woche eingeführt, die zwar heute noch Gesetz ist, aber wegen der wirtschaftlichen Probleme in Frankreich unterschiedlich praktiziert wird. Doch der äußerst knappe Wahlausgang könnte die Krise der Partei, die seit über 10 Jahren von der Macht ausgeschlossen ist, vertiefen. Würde Wahlbetrug nachgewiesen, wäre das für die PS und die neue, starke Vorsitzende ein Fiasko. Der Bürgerliche Nicolas Sarkozy würde sich bestätigt fühlen: "Die PS ist noch nicht regierungsfähig!"

Autor*in
Lutz Hermann

ist Auslandskorrespondent in Frankreich für verschiedene Tageszeitungen und Autor mehrerer politischer Bücher, u. a. „Willy Brandt – ein politisches Porträt“ (1969).

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