Martin Schulz: Die Sozialdemokratie muss sich internationalisieren
Dirk Bleicker
Am Anfang spricht Martin Schulz auf Englisch, dann wechselt er ins Französische, um dann auf Deutsch fortzuführen. Der Parteivorsitzende fühlt sich sichtlich wohl auf der Internationalen Konferenz von SPD und SPE (Sozialdemokratische Partei Europas). Hinter ihm steht auf einer Wand groß das Wort „Erneuern“, in mehreren Sprachen. Das ist das Motto der Tagung, schließlich steht es schlecht um viele sozialdemokratische Parteien in Europa.
Kritik an der EU
„Wir müssen uns internationalisieren“, fordert Schulz im Foyer des Willy-Brandt-Hauses in Berlin. Die Nationalstaaten allein könnten die Menschen nicht mehr ausreichend vor globalen Entwicklungen schützen. Als Beispiel nennt er Klimawandel oder internationale Finanzströme. „Wir haben noch nicht begriffen, dass die Kapitalseite sich immer weiter internationalisiert, die Arbeitnehmerseite bleibt aber national“, stellt er fest. Deswegen müssten auch die Strategien der sozialdemokratischen Parteien international ausgerichtet werden, um die „Waffengleichheit von Arbeit und Kapital“ wiederherzustellen. „Wir müssen der Globalisierung Regeln geben.“ Kein Nationalstaat könne dies allein leisten, das könne nur Europa. Der Parteivorsitzende fordert deswegen eine Weiterentwicklung der EU hin zu den „Vereinigten Staaten von Europa“.
Überhaupt setzt Martin Schulz auf die europäische Karte. Er wolle die EU „als wertegeleitete Demokratie“ stark machen, um internationale Herausforderungen wie Klimawandel, Fluchtursachen, Terrorismus oder Steuerflucht bekämpfen zu können. Europa müsse zu Antworten auf diese Entwicklungen finden. Gleichzeitig kritisiert er die Europäischen Union für ihren Umgang mit Staaten wie Ungarn und Polen. „Wenn eine Regierung, die Gewaltenteilung außer Kraft setzt, nicht sanktioniert werden kann, dann ist dieses Vertragswerk nicht mehr auf der Höhe der Zeit.“
Vertrauenskrise der Sozialdemokratie
Ausdrücklich begrüßt Schulz die Initiativen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der die EU weiterentwickeln möchte. Der SPD-Vorsitzende sagt, er sei nicht mit allem einverstanden, doch Macron habe erkannt, dass eine Zukunft Frankreichs nur in Europa möglich sei. „Er macht Vorschläge, in Berlin sagt man dazu immer Nein.“ Das sei eine Katastrophe.
Eine Weiterentwicklung der EU wünscht sich auch der SPE-Vorsitzende Sergei Stanishev. Allerdings: „Wenn Europa nicht zeigt, dass es sozial ist, dann ist alles nichts wert.“ Für die Bürger sei Europa gegenwärtig eine Täuschung. „Die Menschen haben nicht das Gefühl, dass es sich für ihr persönliches Schicksal interessiert.“ Es gebe deswegen eine Vertrauenskrise gegenüber der Sozialdemokratie und der Politik allgemein. Europa müsse sich ändern. Und: „Wir müssen unseren Fußabdruck als Sozialdemokraten in einem sich wandelnden Europa hinterlassen.“
Auf den aktuellen Stand bringen
„Das Problem liegt nicht in unseren Werten“, stellt Maria Joao Rodriguez fest. Sie ist Mitglied des Europaparlaments und Präsidentin der Foundation for European Progressive Studies. Die politischen Prioritäten müssten allerdings auf den neuesten Stand gebracht werden. „Wir müssen unser System für das 21. Jahrhundert verbreitern“, sagt sie. Wer dem Klimawandel begegnen wolle, brauche beispielsweise ein anderes Wachstumskonzept. Ein weiteres Beispiel ist für sie die Digitalisierung, die die Arbeitswelt revolutioniere. Die etablierten sozialen Schutzmechanismen müssten an dieser Entwicklung angepasst werden. „Europa braucht die Sozialdemokratie gerade jetzt“, sagt Rodriguez.