Letzte Frist vor Grexit
Sie standen einträchtig nebeneinander nach den gescheiterten Verhandlungen: „Wir können diese Woche für weitere Gespräche nutzen“, sagte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. Und EU-Währungskommissar Pierre Moscovici erklärte: „Es gibt keine Alternative zu einem neuen Programm.“ Was aussah, wie ein fein abgestimmtes Vorgehen, war allerdings der vorläufige Schlusspunkt eines Desasters. Die Eurostaaten und die EU-Kommission gingen mit einer unterschiedlichen Strategie in die Verhandlungen.
Offenkundig fahren Junckers dem Zusammenhalt des Ladens verpflichtende Kommission und die nationalen Regierungen in der Eurogruppe unterschiedliche Strategien. Die Kommission will Griechenland halten, koste es was es wolle. Für die Eurogruppe - vorsichtig ausgedrückt - hätte ein Grexit, also den Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone mit einer neuen Währung, den Schrecken verloren. Das schürt Zweifel an Motiven und Zielen der aktuellen Verhandlung.
Varoufakis fehlte zu Beginn
Denn die Finanzminister der 19 Eurostaaten saßen schon am Verhandlungstisch am Montagmittag als noch einer fehlte. Ihr griechischer Kollege Yanis Varoufakis. Der verhandelte da noch mit Moscovici. „Wir hatten uns auf ein Vorgehen geeinigt“, sagte Varoufakis hinterher. Der Deal: Griechenlands neue Linksregierung um Regierungschef Alexis Tsipras verzichtet für die Dauer von vier Monaten darauf, kostspielige Wahlversprechen umzusetzen. Im Gegenzug unterstützt die Europäische Zentralbank Griechenlands kriselnde Banken weiter mit Ela-Notkrediten. Dijsselbloem habe den Vorstoß der Kommission abgelehnt, sagte Varoufakis.
Stattdessen, so raunten hinterher Verhandlerkreise, habe Dijsselbloem einen eigenen Vorschlag präsentiert. Im Kern enthielt er drei Alternativen: das Auslaufen des jetzigen Programms, das langwierige Verhandeln einen neuen Hilfspakets oder die Verlängerung des bestehenden Programms. Das Wort „Verlängerung“ aber steht in Griechenland auf dem Index. Tsipras hat seinen Wählern eine Wende in der Politik der Eurorettung versprochen. Die Eurostaaten haben sich auf verbale Zugeständnisse eingelassen. Die ungeliebte Troika aus Währungsfonds IWF, EZB und EU-Kommission heißt nun „die Institutionen“. In der Sache aber blieben die Eurostaaten hart: Verlängern oder nix! Und so platzten die Verhandlungen.
Eine gefährliche Parallelaktion, denn nun wird die Zeit knapp. Am 28. Februar läuft das Hilfsprogramm für Griechenland aus. Dann droht ein Staatsbankrott. Die Bank JP Morgan gibt dem Land höchstens 14 Wochen. Rutscht Griechenland in die Pleite, droht ein Abschied aus dem Euro. Der CSU-Politiker Hans Michelbach drohte schon mal, alle Hilfsleistungen für Griechenland einzustellen. Ein kurzsichtiger Vorstoß.
Dijsselbloem bot für Freitag eine Sondersitzung der Eurogruppe an. Beharrte aber auf einem griechischen Antrag auf Verlängerung. Ein verstecktes Ultimatum. Und die Zeit ist noch viel knapper. Ein möglicher Antrag müsste von den Institutionen, sprich IWF, EZB und EU-Kommission, geprüft werden. So bleibt nur Zeit bis Mittwoch. Er sei „optimistisch“, sagte Österreichs konservativer Finanzminister Hans-Jörg Schelling am Dienstagmorgen. Er erhob schwere Vorwürfe und sagte die griechische Delegation habe die Gespräche über eine lancierte Meldung im heimischen Staatsfernsehen am Abend für gescheitert erklärt, als die Minister in Brüssel noch beraten hätten.
Es ist der Versuch, die Verantwortung für ein mögliches Scheitern schon mal an Griechenland weiterzureichen. Doch beharrte auch Varoufakis. „Eine Einigung in den nächsten 48 Stunden ist möglich.“ Doch geht es um knifflige Details. Vor allem um das Wort Flexibilität bei der Umsetzung von (Spar-)Maßnahmen. Dijsselbloem sprach hinterher von „einer gewissen Flexibilität“, und erläuterte, Griechenlands Regierung müsste ihr Vorgehen mit den Institutionen umsetzen. Das sei nicht das Mandat der griechischen Wähler, konterte Varoufakis auf einer getrennten Pressekonferenz. Er wünscht freie innenpolitische Hand – im Rahmen der vereinbarten Etatzahlen.
Es droht Grexit by accident
„Wir wollen diesen Deal“, beharrte Varoufakis. Doch hängt Griechenlands Verbleib nun nicht allein an den Gesprächen mit IWF, EZB und EU-Kommission in den nächsten 48 Stunden. Griechenland muss nun auch auf die Besonnenheit der heimischen Sparer hoffen. Nach Angaben von JP Morgan räumen Griechenlands Sparer jeder Woche zwei Milliarden Euro von ihren Konten, das bringt die heimischen Banken in eine schwere Schieflage, Ende Mai könnte die Kreditsicherheit dahin sein. Die EZB deutete weitere Notkredite für die Geldinstitute an. Aber kommt es zu einem „Bank-Run“, also einem Sturm auf die Banken, ist die Situation nur schwer zu kontrollieren. Es droht ein Grexit by accident, Griechenlands Abschied aus der Eurozone, der schon Greccident genannt wird.
Manche wie CSU-Mann Michelbach mögen sich darüber freuen. Andere fürchten um das Symbol. Die Eurozone ist kein Fitnessclub, zu dem man kommt und geht. Manche auch um den Verbleib des Nato-Staates Griechenland in der Europäischen Union. Fest steht schon jetzt, wer verliert: Die Menschen in Griechenland. Eine mögliche neue Währung würde sofort um 20 bis 40 Prozent abgewertet, das würde die Ersparnisse schrumpfen lassen und Importe verteuern. Mit dem Grexit wäre das Problem des schwächelnden Griechenland nicht gelöst. Es fängt dann erst an.
ist Europa-Korrespondent. Bereits seit 2012 berichtet er aus Brüssel für die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“.